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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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ausgeschlagen, aber ich wollte es mir wenigs-tens mal anschauen. Sie hatten recht. Es ist ein alter Kasten.«
    »Aber man könnte was draus machen.«
    »Was denn?«, fragte sie neugierig.
    Leon zuckte mit den Schultern. »Die Substanz ist gut. Deine Tante hat nicht viel investiert, aber wenn, dann genau an den richtigen Stellen. Das Fachwerk ist okay, wenigstens auf den ersten Blick. Natürlich müsste man die Dachbalken checken und im Keller nachsehen, ob er Feuchtigkeit zieht oder der Schimmel nur in den Besen ist. Aber wenn du Glück hast, musst du bis auf ein bisschen Farbe nicht viel machen.«
    Skeptisch betrachtete Nico die schiefen Wände und die dunklen Deckenbalken.
    »Mir wäre es zu düster.«
    »Dann mach die Fenster größer. Oder bau den Dachboden aus und lass mehr Licht rein. Es ist wirklich schön. Ich kenne Schattengrund im Sommer. Der Garten ist verwildert, aber auf eine so lässige Art, dass ich gar nichts groß verändern würde. Die Leute würden es lieben. Du kannst es als Ferienhaus vermieten oder …« Sein Gesicht verdüsterte sich, als ob ihn ein unangenehmer Gedanke gestreift hätte. Im nächsten Moment lächelte er wieder. »Wenn der Schwarze Hirsch mir gehören würde, würde ich Schattengrund als Apartmenthaus dazunehmen. Viele wünschen sich so was: Hotelservice, aber trotzdem wie in den eigenen Wänden. Also, du müsstest nicht viel reinstecken. Ich denke zehn-, vielleicht zwanzigtausend Euro.«
    Nico widmete sich wieder ihren Spaghetti. Er hatte gut reden. Sie kamen jetzt schon vorne und hinten mit dem Geld nicht klar. Sie dürfte sich im Grunde genommen noch nicht mal die Nudeln auf ihrem Teller leisten. Leon war der Erste, der Kianas Haus mit anderen Augen betrachtete: Nicht als Last, sondern, vielleicht, als Gewinn. Mit ihm zusammen …
    Nico stöhnte unwillkürlich auf. Was für bescheuerte Gedanken hatte sie eigentlich in letzter Zeit?
    »Ist was mit dem Essen?«, fragte Leon besorgt.
    »Nein. Ist nur ein bisschen heiß.«
    Sie stürzte den Rest ihres Holunderwassers hinunter.
    »Und du?«, fragte sie. »Dich will man hier doch auch nicht wirklich haben. Warum bist du hier?«
    Er schob seinen leeren Teller zurück. »Alte Familiengeschichten.«
    »Ja?«
    »Was ja?«
    »Ich höre?«
    Er stand auf und trug sein Geschirr zur Spüle.
    »Das wird dich langweilen.«
    »Och, ich hab Zeit. Familiengeschichten mag ich. Verfluchen, Hölle, Blut und Tränen und so was. Her damit.«
    Er lehnte sich an die Spüle und verschränkte die Arme. »Es geht um den Schwarzen Hirschen.«
    Nico schaufelte die letzte Gabel Spaghetti in sich hinein. Sie sah Leon an, kaute und wartete so offensichtlich auf eine Fortsetzung, dass er sich schließlich seufzend umdrehte und Wasser ins Becken laufen ließ.
    »Eigentlich gehört er uns.«
    Nico schluckte. »Der Schwarze Hirsch?«
    »Mein Urgroßvater, Zitas Mann, hat ihn meinem Großvater vererbt. Der hatte zwei Söhne: Lars und Zacharias. Lars, der ältere von beiden, ist mein Vater. Er hätte den Schwarzen Hirschen eigentlich übernehmen sollen. Aber dann ist mein Vater nach England gegangen. Er kam mit dem drohenden Mauerbau nicht klar. Sein Bruder Zacharias hat ihm versprochen, wenn die Verhältnisse sich je ändern würden, bekäme er den Schwarzen Hirschen zurück.«
    Leon drehte den Hahn zu und räumte das restliche Geschirr ab.
    »Ich glaube, sie hatten es nicht leicht zu DDR -Zeiten. Da war das Haus ein FDGB -Heim. Aber nach der Wende bekamen sie Kredite und träumten davon, den Hirschen ganz groß aufzuziehen. Von Rückgabe und Erbe kein Wort mehr. Mein Vater, der immer ein schlechtes Gewissen hatte, weil es ihm ja so viel besser ging – oder weil er einfach nur hart gearbeitet hat, gab Geld. Und noch mal Geld. Und noch mal. Irgendwann ging ihm die Geduld aus. Er hat den Hirschen mehrfach vor der Insolvenz gerettet, aber Trixi und Zach sind einfach keine Geschäftsleute. Trotzdem: Lieber hätten sie das Hotel abgefackelt als es meinem Vater zurückzugeben, dem es eigentlich gehört hat. Unsere Familien haben sich darüber verfeindet. Lange gab es keinen Kontakt. Und bis heute stehen wir uns … na ja, nicht unbedingt nahe.«
    »Das hab ich gemerkt«, erwähnte Nico trocken. So leid es ihr um Leons verfahrene Familiensituation tat – auf der anderen Seite war es geradezu tröstlich zu wissen, dass sie nicht die Einzige war, die man in Siebenlehen am liebsten von hinten sah.
    »Und warum bist du dann hier?«
    »Der Schwarze Hirsch ist wieder mal so

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