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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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13. Mai 1994, gestorben am 3. Januar 2000. Die Vergebung ist des Herrn.
    Wie betäubt starrte Nico auf die wenigen Worte. Sie sagten alles. Kein Mensch in Siebenlehen würde ihr je vergeben.
    Sie hörte das Knirschen von Schritten, aber es war ihr egal. Diese Minuten am Grab der toten Fili gehörten ihr, ihr ganz allein. Sie würde nie erfahren, was genau geschehen war. Sie konnte nur hoffen, dass Fili, egal wo sie jetzt war, vielleicht anders von ihr dachte als der Rest der Welt.
    »Du hast sie gefunden.«
    Zu Tode erschrocken fuhr Nico herum. Leon stand hinter ihr. Er sah sie mit einer Mischung aus Sorge und Mitgefühl an. Wenn das Letzte, was sie von ihm gesehen hatte, nicht das Herumschnüffeln in Kianas Haus gewesen wäre, wäre sie glatt auf ihn hereingefallen. Trotzdem schlug ihr Herz bis zum Hals.
    »Es war nicht schwer. Eine Krähe hat mich hierhergeführt.«
    Sie stand auf und klopfte sich den Schnee von den Knien. Ihr wurde schwindelig. Der Kreislauf. Die Erkältung. Seine Anwesenheit.
    »Erstaunliche Vögel.« Er begann, den Schnee rund um das Grab etwas festzutreten, damit die Stelle nicht ganz so verwüstet aussah. »Dabei sollten sie doch eigentlich wissen, dass es bei dir besser ist, auf Abstand zu gehen.«
    »Ich weiß es jetzt«, sagte Nico. Was war bloß los mit ihr? Eben noch hatte sie mit den Zähen geklappert vor Kälte, jetzt war ihr siedend heiß. »Ich weiß alles.«
    Sie drehte sich um und lief zurück zum Ausgang. Inständig hoffte sie, er würde ihr nicht folgen. Aber am Tor hatte er sie bereits eingeholt.
    »Was weißt du?«
    »Ich weiß, was ich getan habe. Morgen bin ich weg und ihr werdet mich nie mehr wiedersehen. Sei so nett und leite das an die entsprechenden Stellen weiter.«
    Sie ging die Straße hinunter, an der Kirche vorbei und hielt auf die Kreuzung zu.
    »Warte!«
    Sie lief schneller. Sie wollte nicht mehr mit ihm reden und ihn auch nicht mehr sehen.
    »Nico! Wir müssen miteinander reden!«
    Er rannte ein paar Schritte voraus und stellte sich ihr in den Weg. Mit gesenktem Kopf versuchte Nico, an ihm vorbeizukommen.
    »Ich war gestern bei dir. Wo warst du?«
    Sie kniff die Lippen zusammen und versuchte einen Ausfall nach links – umsonst.
    »Ich wollte mir den Stein noch einmal ansehen. Wenn er wirklich von hier ist, dann weiß ich, was das silberne Grab zu bedeuten hat. Ich kann dir helfen.«
    Nico machte einen Haken nach rechts, wieder stellte er sich ihr in den Weg und breitete die Arme aus. Um ein Haar wäre sie hineingelaufen. Sie blieb abrupt stehen.
    »Willst du Schattengrund nicht mehr?«
    »Nein!«, schrie sie. »Und ich wünschte, bei Gott, ich wünschte, ich wäre nie, nie hierhergekommen!«
    »Was ist passiert?«
    »Nichts.«
    Sie schob ihn mit aller Kraft zur Seite und lief weiter. Er folgte ihr.
    »Es gibt eine uralte Legende. Von ihr wissen nur Leute, die hier geboren sind. Es ist die Geschichte von einem Weg durch die Berge, getrieben aus reinem Silber. Er führt direkt ins Paradies.«
    »Ach ja? Da habe ich andere Erfahrungen.«
    Er blieb stehen. Das überraschte Nico so sehr, dass sie ebenfalls innehielt und sich zu ihm umdrehte.
    »Rede mit mir. Was ist los?«
    »Hast du Kianas Buch verbrannt?«
    »Was soll ich?«
    »Ja oder nein?«
    Bestürzt schüttelte er den Kopf. »Nein. Natürlich nicht. So was verbrennt man doch nicht.«
    Er kam einen Schritt näher und griff ihr zart unter das Kinn. Nico ließ es geschehen. Sie hatte keine Kraft mehr.
    »Schau mich an. Was ist los?«
    »Dann war er wieder da.«
    »Scheiße. Scheiße!«
    Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie mit sich. Sollte sie ihm glauben? Es gab sonst niemanden hier, dem sie vertrauen konnte. Die Versuchung, sich fallen zu lassen, war unsagbar groß. Sie musste endlich jemandem erzählen, was sie erfahren hatte. Vielleicht wurde dann die Last ein wenig leichter.
    »Das Buch ist wirklich verbrannt?«
    Sie nickte. Tränen traten in ihre Augen. »Und ich weiß auch, warum alle so sauer auf mich sind.«
    »Warum?«, fragte er und zog sie etwas näher an sich.
    »Ich habe …« Sie konnte es nicht sagen. Es war so schrecklich und endgültig. Es wunderte sie, dass sie noch reden und laufen und frieren konnte, wo sie sich doch in diesem Moment fühlte, als wäre sie schon tot.
    »Du hast was?«
    »Ich habe sie umgebracht.« Nico wankte, beugte sich vornüber und stöhnte auf.
    Leon ließ sie los und wartete. Dabei sah er sich um, ob sie auch niemand beobachtete. »Fili? Du?«
    Nico war wieder so

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