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Schattengrund

Schattengrund

Titel: Schattengrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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von euch?«
    »Was denn für Dinge? Genau das habe ich befürchtet. Davor wollte ich dich bewahren, dass die ganze alte Kiste wieder aufgemacht wird. Nico, hör mir zu. Du hast keine Schuld. Du warst ein sechsjähriges Mädchen, das irgendwelchen Schauergeschichten auf den Leim gegangen ist. Aber das durfte man ja nicht laut sagen. Sie hatten ja ihre Schuldigen – dich und Kiana. Dass du dem Tod nur haarscharf entronnen bist, hat doch in Siebenlehen niemanden interessiert.«
    Nico wischte sich die Tränen weg. Ihr lief auch noch die Nase, aber nebenan um ein Taschentuch zu bitten, war wohl keine Option.
    »Alle behaupten …« Nicos Stimme versagte. Sie räusperte sich, aber es fiel ihr unendlich schwer, das auszusprechen, was ihr fast die Kehle abschnürte. »… ich hätte Fili in den Berg gelockt und sie da allein gelassen.«
    »Ach, Nico …« Ihre Mutter suchte nach Worten. »Das wollten sie uns einreden, damals. Aber das stimmt nicht. Du hast dich verlaufen und bist in letzter Sekunde gefunden worden. Dir ging es so schlecht. Du warst so krank. Deshalb haben wir geglaubt, es wäre besser, die ganze Geschichte gar nicht mehr zu erwähnen.«
    »Und Kiana auch nicht? Ihr habt sie zu einer Verrückten gemacht!«
    »Das war sie auch! Sie und ihre verdammten … ihre … Sie hätte dich nie gehen lassen dürfen. Sie hätte besser auf dich aufpassen müssen.«
    »Das hat sie doch nicht mit Absicht gemacht?«
    Stille. Nico presste den Hörer ans Ohr. Sie hörte ein merkwürdiges Geräusch. Es klang, als ob ihre Mutter schluchzen würde.
    Es gab wenig auf dieser Welt, was Nico näherging als ihre Mutter, die weinte. Sie konnte sich nicht erinnern, dass Stefanie jemals so die Beherrschung verloren hätte. Dieses unterdrückte Schluchzen zerschnitt Nico beinahe das Herz.
    »Kiana«, begann Stefanie. Sie suchte nach Worten. »Kiana war die Einzige, die immer und immer wieder deine Unschuld beteuert hat. Sie hat alles auf sich genommen. Und wir haben es uns sehr einfach gemacht, indem wir all unsere Wut und unsere ausgestandene Angst um dich auf ihr abgeladen haben. Erst viel später habe ich begriffen, dass es ganz anders gewesen ist.«
    »Wie anders?«
    Nico beugte sich vor und lugte um die Ecke des Tresens. Ihr war, als hätte sie ein Geräusch gehört, doch die Gaststube war leer. Bis auf die vielen Tischbeine, die Nico an eine Herde erinnerte. Eine Herde Tische … Ich werd noch verrückt hier, dachte sie. Sie lehnte sich an ein Bierfass, das unter dem Tresen stand.
    »Im Krankenhaus bist du einmal kurz aufgewacht. Das war das einzige Mal, dass du darüber gesprochen hast. Das war der Auslöser für die ganze Hexenjagd. Es gab einen Hinweis darauf, was wirklich geschehen ist, aber er ist verschwunden. Natürlich. Denn er hätte ja die Schuldfrage ganz neu gestellt. Nur du und Kiana habt es gesehen, aber da stand Aussage gegen Aussage.«
    Ein Knarren im Haus. Nicos Herzschlag verdoppelte sich. Jemand war unterwegs. Sie musste das Telefongespräch beenden, bevor man sie erwischte.
    »Was?«, flüsterte sie. »Was hab ich gesehen?«
    »Es war …«
    Aus. Die Verbindung war unterbrochen. Das Licht flammte auf. Mit zitternden Fingern legte Nico den Hörer auf die Gabel und drückte das Telefon an sich. Jemand kam quer durch die Gaststube auf sie zu. Schwere Schritte. Tische wurden zur Seite geschoben. Ein Stuhl fiel krachend auf den Boden. Nico hätte sich am liebsten in dem Bierfass versteckt, aber es gab keine Fluchtmöglichkeit. Man hatte sie entdeckt.
    »Wen haben wir denn da?«
    Eine Pranke riss sie an ihrem Pullover hoch und zerrte sie aus ihrem Versteck. Zach nahm ihr das Telefon ab und knallte es auf den Tresen. Erst dann ließ er sie los.
    »Hab ich nicht gesagt, so was wie dich will ich nie mehr hier sehen?«
    Nico hob die Hände. »Kein Problem. Bin schon weg. Die Tür vorne ist leider verschlossen.«
    Zach drehte sich um wie ein Bulle, der seine Weide checkt.
    »Ja.«
    Er hatte blutunterlaufene Augen und war seit Tagen nicht rasiert. Er trug dieselben Sachen, die er schon am Tag zuvor bei ihrem ersten Zusammentreffen anhatte. Nico vermutete, dass er sie selbst zum Schlafen nicht mehr auszog.
    »Dann werd ich dich wohl durch die geschlossene Tür nach draußen befördern.«
    Er packte sie am Oberarm. Sosehr Nico sich wehrte, er schleifte sie quer durch den Raum zur Tür. Noch mehr Stühle fielen, Tische verrutschten.
    »Lassen Sie mich los! Sie tun mir weh!«
    Er schnaubte nur.
    Trixi kam aus dem Nebenzimmer,

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