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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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den er zwanzig Jahre kannte, der sein Streifenpartner gewesen war und dem er in mehr als einer Situation aus der Patsche geholfen hatte. Wahrscheinlich sogar einmal zu viel. Erst jetzt erkannte er, dass hier eine echte, gezielte Intrige gegen ihn lief. Ihn fröstelte.
    Er fasste sich, tat so, als wäre nichts.
    «Sag mal, Heinz, du hast doch damals die Eltern der Sabrina Vogel befragt?»
    Die Eltern waren die allerwichtigsten Informanten zu Sabrina Vogel. Am Abend nach der Tat war Glocke alleine nach Allmenrod bei Lauterbach gefahren, um die Todesnachricht zu überbringen und die Eltern als Zeugen zu vernehmen. Winter vermutete, dass in dem knappen, förmlichen Protokoll nicht alles stand.
    «Ja, das stimmt», sagte Glocke, erleichtert, dass es nur darum ging.
    «Wussten die Eltern von dem Hirntumor der Tochter?»
    «Hirntumor? Was für ein Hirntumor? Davon weiß ich gar nix.»
    Winter seufzte. «Sabrina Vogel litt an einem bösartigen Hirntumor. Okay, das war also kein Thema bei dem Gespräch.»
    «Nein. Die Befragung hab isch aber auf Kassette aufgenommen. Kannst du dir anhören, wenn du willst.»
    Glocke kramte, bis er die beschriftete Mikrokassette gefunden hatte. Er bevorzugte die alten analogen Geräte, da er mit jeglicher digitaler Technik auf Kriegsfuß stand. Diktiergeräte lieferten generell nicht die besten Aufnahmen. Aber sie waren besser als nichts.
    ***
    Nach dem Mittagessen mussten sie sich immer alle ins Bett legen. Der Betreuer schimpfte, als Wolke wieder bei Merle unterkriechen wollte. Er riss Wolke aus dem Bett, legte sie in ihr eigenes. Merle hörte Wolke wimmern. Der Vorhang vor den Fenstern wurde zugezogen, und nun sollten sie schlafen. Merle hasste das. Gerade mittags konnte sie immer nur halb einschlafen. Immer nur so weit, bis die Träume kamen. Diesmal träumte sie von Wolke. Ein Mann holte sie aus dem Bett. Er sagte zu ihr: Du bist mein Pipi-Mädchen. Dann sagte er: Du musst bestraft werden, weil du böse warst. Deswegen darfst du nicht im Bett liegen. Er legte Wolke auf den Boden und machte Fickifacki mit ihr. Dann sah er hoch, zu Merle. In diesem Moment erst sah sie sein Gesicht. Es war der Motorradmann. Sie schrie.
    ***
    Winter saß vor dem laufenden Diktiergerät, die Augen geschlossen, um besser hören zu können. Der resignierte Ton in der Stimme von Sabrina Vogels Mutter war eine Information, die das Protokoll nicht geliefert hatte. Brav, gehorsam und duldsam beantwortete Frau Gunhild Pfister banale Fragen, kochte Glocke Kaffee und schmierte ihm Brote, kurz nachdem sie die Nachricht über den gewaltsamen Tod ihrer Tochter erhalten hatte. Winter hatte Eltern Ermordeter am Boden zerstört erlebt, aggressiv, anklagend und ungläubig und gelegentlich auch gefühlskalt, wenn das Verhältnis zu dem Toten schlecht gewesen war. Doch diese sofortige traurige Fügung war ihm noch nicht begegnet.
    Nein, sie wisse von keinen Feinden. Sie wisse von keinem Schmuck oder Wertsachen im Haus. «Die Sabrina hatte doch gar keinen Schmuck, die war immer so bescheiden.» Sie wisse nicht, wer Sabrina und ihren Schwiegersohn getötet haben könnte.
    An dieser Stelle im Gespräch erklang im Hintergrund ein schauerliches Geräusch, wie ein entferntes Klagen Geisteskranker, von dem Winter Mark und Bein gefror.
    Er trug das Gerät zwei Türen weiter, spielte Glocke die Stelle vor. «Wer oder was ist das?»
    «Das ist der Mann. Der Herr Pfister. Der hatte doch den Schlaganfall. Saß da im Rollstuhl und hat auf sein Lätzchen geseibert und gab immer mal so Geräusche von sich.»
    Winter spulte zurück und ließ die Stelle nochmals laufen.
Wer könnte Ihre Tochter und Ihren Schwiegersohn getötet haben?
, erklang Glockes Frage.
Ich weiß es wirklich nicht
, antwortete Frau Pfister. Und unmittelbar danach hörte man etwas wie ein langgezogenes «üh-ah» aus dem Hintergrund, dreimal wiederholt.
    «Ich glaube, der will was sagen», schloss Winter. «Der weiß was.»
    «Ach wo», sagte Glocke. «Der is bloß noch Gemüse, der Mann. Der veschetiert oder wie man des nennt.»
    Glockes Einschätzungen war selten zu trauen.
    «Wann hatte der eigentlich seinen Schlaganfall?»
    «Die Frau meinte, es wär noch net so lange her.»
    Winter hob die Brauen. Noch nicht so lange her? Dann gab es die Hoffnung, dass sich Pfisters Zustand inzwischen gebessert hatte und er reden konnte. Oder vielleicht schreiben. Winter fand es auffällig, dass die Frau die offensichtlichen Versuche ihres Mannes, sich zu äußern, komplett

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