Schattenhaus
dachte Winter. «Wie man’s nimmt», sagte er und berichtete. «Soso», sagte Fock, der kaum zugehört hatte. Er zog ein seltsames Gesicht hinter seinem Schreibtisch, legte die Hände mit spitzen Fingern wie zum katholischen Gebet zusammen. «Ehe Sie sich aufregen», begann er ominös, «wollte ich Ihnen nur sagen, dass wir den Verdächtigen Preiß schon hier haben zur Klärung der restlichen Fragen, und dass ich den Kollegen Kettler beauftragt habe, das Verhör zu übernehmen. Es ist ja nicht so, dass der Kollege Kettler gestern irgendetwas falsch gemacht hätte, nicht wahr. Und ich wollte Ihnen generell noch sagen, nehmen Sie sich doch bitte in der Angelegenheit Vogel mal etwas zurück und überlassen Sie dem Kollegen Kettler die Führung. Der kennt den Fall zwei Wochen länger als Sie, hat mehr Zeugen gesehen und ist in der Materie einfach besser drin.»
Winter konnte kaum glauben, was er hörte.
«Ach, tatsächlich?», sagte er. «Sie wollen mir doch nicht etwa sagen, dass es falsch war, dass ich gestern in Wiesbaden persönlich bei dem Chirurgen der Klinik nachgefragt habe, nachdem sich Kollege Kettler mit der telefonischen Auskunft irgendeiner überlasteten Sekretärin begnügt hat? Als leitender Beamter werde ich ja wohl noch unsichere Ermittlungsergebnisse überprüfen dürfen. Das ist schließlich mein Job.»
Fock wand sich. «Je nun, es war aber in dem Fall etwas unkollegial, weil Sie den Kollegen nicht informiert hatten, und wie ich schon sagte …»
«Entschuldigung, wenn ich um halb vier aus der Vernehmung komme und der Herr Kettler schon nach Hause gegangen ist, soll ich dann für den Rest des Tages Däumchen drehen und wichtige Dinge aufschieben, bloß weil er nicht da ist?»
«Je nun, Winter, Ihr Eifer in der Sache war übertrieben. Es war doch nicht so wichtig. Der Fehler wäre früher oder später von selbst ans Licht gekommen. Madame Vogel hätte den Chirurgen ja sicher als Entlastungszeugen angegeben.»
Winter konnte nur staunen. «Ja, vor Gericht! Das hätte eine dicke Blamage für die Staatsanwaltschaft gegeben und Kosten für den Steuerzahler. Renate Vogel hätte man noch Entschädigung für die Haft zahlen müssen. Entschuldigung, Chef, aber das meinen Sie doch nicht ernst!»
«Regen Sie sich mal nicht so künstlich auf. Etwas Mäßigung im Ton kann nicht schaden. Wie ich schon sagte, in diesem Fall sehe ich Kettler als den leitenden Beamten, und dessen Entscheidungen haben Sie nicht zu hinterfragen, auch wenn sie vielleicht nicht immer richtig sind. Mein Gott, Sie machen doch auch Fehler. Ich brauche Ruhe in der Kiste und keine Kabbeleien in meiner MK . – Sagen Sie mal, Winter, haben Sie eigentlich Probleme zu Hause, oder warum sind Sie im Augenblick so gereizt?»
Das nahm Winter die Luft aus den Segeln. Er schluckte seinen Protest herunter, um bloß schnell das Thema zu wechseln.
«Chef, wissen Sie eigentlich, dass die Geschädigte Sabrina Vogel einen tödlichen Hirntumor hatte?»
Fock sah ihn verblüfft an. «Was?»
«Korrekt. Ich habe das auch erst nachträglich herausbekommen, weil Herr Kettler es vergessen hatte, in der Akte zu vermerken.» Das war ihm so rausgerutscht. Doch in dem Moment, als seine Worte erklangen, wurde Winter klar, dass er sich gerade nach Petze anhörte.
Fock befand bloß: «Je nun, es ist ja auch nicht so wichtig. Dieser Hirntumor hat doch sicher nichts mit dem Verbrechen zu tun.»
«Woher wissen Sie das? Nach meinem Gefühl haben wir überhaupt noch nicht verstanden, was da bei Vogels passiert ist. Es gibt mehrere Leute aus Sabrina Vogels Umfeld, die noch gar nicht befragt wurden.»
«Dann machen Sie das in Gottes Namen, aber lassen Sie Sven Kettler in Ruhe arbeiten. Der ist nicht schlecht, der Junge. Nötzel sagt auch, er mag seine knappen Protokolle. Ihre sind immer so ausufernd. Das will doch kein Mensch lesen.»
Winter hob bloß die Brauen und verabschiedete sich. So sah man also seine Sorgfalt.
Eines war jetzt klar. Es gab nur einen Weg, wie er sich gegenüber Sven Kettler behaupten konnte. Er musste diesen Fall aufklären und zeigen, dass Kettler falsch lag. Vollkommen falsch.
***
In einem hatte Fock recht: Es war ein großer Nachteil, dass er nicht von Anfang an dabei gewesen war.
Winter begab sich zum Büro zwei Türen neben dem seinen, wo Heinz Glocke und Arno Ziering ihren Arbeitsplatz hatten. Als er eintrat, wich Glocke seinem Blick aus. In dieser Sekunde verstand Winter, dass Glocke vorhin für Kettler gelogen hatte. Heinz Glocke,
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