Schattenhaus
am selben Bund. So viel zum Sinn der Maßnahme, Waffen und Munition müssten getrennt aufbewahrt werden. Winter sah den Inhalt der Kommode durch. Von . 44 er-Magnum-Patronen war nur eine einzige Magazinladung vorhanden – sechsschüssig, wie erwartet. Von den anderen Munitionssorten gab es weitaus größere Vorräte.
Winter stellte sich unwissend. «Frau Pfister, wir bräuchten von Ihrem Mann einen . 44 er-Magnum-Revolver. Welche der Waffen könnte das sein? Ich kenne mich da leider nicht so gut aus.»
Frau Pfister griff müde und resigniert dreinblickend zur richtigen Waffe.
«Halt, nicht berühren!», rief Winter und stoppte ihren Arm durch einen Griff ans Handgelenk.
«Wir müssen die Waffe und die zugehörige Munition vorläufig beschlagnahmen», erklärte er, während Ziering mit Handschuhen alles vorsichtig in Beutel packte. «Reine Routinemaßnahme», wiederholte Winter. Frau Pfister nahm das Ganze mit ihrer üblichen duldsamen, passiven Miene hin.
Am Ende schloss Winter die beiden Schränke ab und erklärte, die Polizei müsse auch den Schlüssel vorläufig beschlagnahmen.
Das stimmte eigentlich nicht. Doch wenn sie Frau Pfister heute schon nicht verhafteten, wollte er sie wenigstens am Zugang zu dem häuslichen Waffenarsenal hindern. Nicht dass die Frau noch Amok lief und ihren Mann und das halbe Dorf hinmordete.
***
Gunhild Pfister stand oben am Giebelfenster. Unter ihr leuchtete schwach und gelb die einzige Straßenlaterne weit und breit. Im Schneetreiben manövrierten die Polizeiwagen, wendeten und verschwanden in der Dunkelheit. Beinahe hatte sie sich mit den Polizisten im Haus besser gefühlt als ohne sie.
Sie hätte Reinhard niemals heiraten dürfen. Aus Schlechtem entstand nichts Gutes. Und glaubte man dem Feind der Familie, Jörg Krombach, so war die Grundlage ihrer Ehe ein Mord gewesen. «Mörder meiner Mutter» hatte Jörg Krombach bei der Hochzeit Reinhard vor allen Leuten genannt.
Dabei galt Rosemarie Krombachs Tod offiziell als Unfall. Auch Jörg hätte das vielleicht so gesehen, hätte er nicht Reinhard, Rosemaries Liebhaber, schon davor jahrelang gehasst, weil er seine Mutter zur Hure machte und seinen Vater zum Gespött. Ein zorniger junger Mann war Jörg Krombach gewesen. Selbst seinem Vater grollte er, weil er die Daueraffäre seiner Ehefrau mit dem Förster hinnahm, einfach so tat, als sehe er es nicht.
Und dann kam eben jener Juniabend, an dem Jörgs Vater zu Hause auf seinem Hof blieb, während seine Frau mit ihrem Freund, dem Förster, zur Sonnenwendfeier nach Röthges fuhr, als Beifahrerin auf dem Motorrad, ihrem gesetzten Alter von fünfzig Jahren gänzlich unangemessen. Die Rosemarie war immer eine umtriebige Person gewesen, die es abends aus dem Haus zog. Auf dem letzten Stück der Rückfahrt von Röthges hatte Reinhard irrsinnigerweise einen Schleichweg durch Wald und Feld genommen, den er als Förster natürlich bestens kannte, und war auf dem holprigen Untergrund gestürzt. Er selbst holte sich nur eine Platzwunde und ein paar Schrammen. Aber seine Geliebte, Jörgs Mutter, kam bei dem Sturz zu Tode.
Erst hatte Reinhard noch versucht, die leblose Rosemarie aufzuladen, sternhagelvoll, wie er wahrscheinlich war. Dann hatte er eingesehen, dass das nicht ging; sie war ja auch nicht die Leichteste gewesen. Alleine war er nach Allmenrod gefahren und hatte dort die Kameraden von der freiwilligen Feuerwehr verständigt, damit sie Rosemarie holen kämen. Weil sie nach seiner Aussage tot war, wurde ein Krankenwagen gar nicht erst gerufen. Das wäre heute alles anders. Und obwohl Reinhard betrunken war, kam niemand auf die Idee, ihn zur Polizei in die Stadt zu bringen und einen Alkoholtest zu machen. Der Dorfpolizist, das Karlchen, war sein Freund und häufiger Saufkumpan. Der alte Dorfarzt war beim Totenschein gefällig. Solche Dinge regelte man damals intern. Es half ja niemandem, die Sache an die große Glocke zu hängen. Mit einem Forstwagen holten sie Rosemarie aus dem Wald und brachten sie nachts um drei nach Hause, mausetot, mit Erde und Laub und Ästchen verschmutzt und mit Schürfwunden im Gesicht sowie auf dem wogenden welken Busen, den sie wie immer zu entblößt getragen hatte. Die Wunden kamen daher, dass Reinhard versucht hatte, sie quer über seinen Motorradsattel zu legen und sie dabei über den Boden geschleift hatte. Die Tote sah aus wie nach einem Martyrium. Begreiflich, dass ihr Sohn diese Nacht und diesen Anblick nie vergessen konnte.
Der Tod Rosemaries war
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