Schattenhaus
diesem Sommerfest vielleicht.»
Sie grinste. «Als du mir gesagt hast, ich soll doch zurück in die Türkei gehen, wenn’s mir hier nicht gefällt.»
Winter rollte die Augen gen Himmel. «Erinner mich nicht daran. Ja, kann sein, dass Fock das mitbekommen hat. Oder dass ich ihm hinterher gesagt habe, wie diese militante türkische Feministin mich nervt. Aber danach hatten wir uns ja zusammengerauft, und es ist mir sehr wichtig –»
«Ist gut, Andi. Ist schon gut. Ich glaub dir dann mal.»
Nur half es nicht. Sie hörte sich plötzlich traurig und müde an, sah ihm nicht mal richtig in die Augen; rasch verabschiedete sie sich und verschwand Richtung Treppe.
Focks Patzer hatte auf Dauer etwas zerstört. Die späte Aufklärung konnte ein verlorenes Gefühl bei ihr nicht zurückholen. Monatelang hatte Winter gespürt, dass Aksoy sich über jedes zufällige Zusammentreffen mit ihm freute, dass sie beide eine Art süßes Geheimnis miteinander teilten, das in dieser gemeinsamen Freude bestand. Zumindest darin. Und das war jetzt vorbei.
***
Es war dunkel, als die letzten Beamten die Westendvilla verließen.
«Kann ich dich nach Hause bringen?», fragte Winter den Streifenkollegen der Frühschicht namens Klaus. Dieser hatte morgen frei, besaß wohl keine Familie, und so hatte er aus Interesse bis zuletzt ausgeharrt. Eben noch hatte er mitgeholfen, die Absperrung an der Einfahrt zum Kettenhofweg zu entfernen.
«Ich nehm hier das Millionengrab», gähnte der Kollege. «Ich kenn den Fahrplan, da kommt gleich eine.»
«Millionengrab?», fragte Winter.
«Den U 4 -Eingang Dantestraße. Ich mein, erst baut die Stadt jahrelang an einer Verlängerung der U 4 bis zur Bockenheimer Warte. Mitten während die noch am Bauen sind, fällt plötzlich der Uni ein, dass sie mit Kind und Kegel in die Pampa umziehen will und den Standort Bockenheim aufgibt. Unser Lord Professor Dingsbums und die anderen paar reichen Privatleute haben jetzt den Eingang Dantestraße schön für sich allein.»
Winter lachte. «Schlechte Planung, da hast du recht.»
Es regnete noch immer leicht. Auf der Senckenberganlage glänzte der Rücken der Dinosauriernachbildung nass im Laternenlicht. Hier müsste man nachts einen Film drehen, dachte Winter. Der Bus mit den Beamten der Suchmannschaft fuhr mit arbeitenden Scheibenwischern an.
Winter wollte sich gerade Richtung Auto wenden, da fiel ihm ein einsamer Fußgänger auf, der von der Senckenberganlage kommend den Kettenhofweg betrat. Der Mann hatte eine dunkle Kapuze über dem Kopf, was bei dem Wetter kein Wunder war. Aber irgendetwas an seiner Haltung kam Winter verdächtig vor.
Unauffällig setzte Winter sich in den Dienstwagen. Statt loszufahren, beobachtete er, was weiter geschah.
Der dunkle Schatten sah sich mehrfach um. Dann hielt er auf das Grafton’sche Haus zu, blieb direkt davor stehen, beobachtete die Fassade, an der in einigen Fenstern Licht brannte.
Winter griff nach dem Funkgerät. Er forderte Verstärkung an, entweder eine Streife, falls eine in der Nähe war, oder den Bus mit der Suchmannschaft. Er hatte den Verdacht, dass der Mörder zurückgekommen war.
Während der Unbekannte das Grafton’sche Grundstück betrat, stieg Winter leise aus dem Wagen. Die Bewegungsmelder der Villa schalteten das Außenlicht ein, doch die Alarmanlage sprang nicht an. Der Hausherr hatte sie noch nicht aktiviert.
Als der Unbekannte in Schwarz an der Tür stand und die Klingel betätigte, sprintete Winter mit der Waffe in der Hand los. «Achtung», rief er, «Polizei, Hände hoch!»
Der Unbekannte drehte sich um, gelblich fahl im Laternenlicht, und Winter gefror das Blut in den Adern.
Es war der Verletzte von heute Morgen. Der Mann, von dem er geglaubt hatte, dass er mit einem Verband um den Kopf im Elisabethenkrankenhaus um sein Leben kämpfte.
Winter schüttelte den Gedanken ab. Es konnte nicht sein. Oder?
***
Gunhild Pfister konnte sich nicht überwinden, ins Bett zu gehen. Schlaf würde sie dort keinen finden, nicht nach dem heutigen Tag.
Immer wieder lief sie hoch zum Giebelfenster. Von dort konnte sie die Häuser des Krombach-Clans am Ende der Straße sehen. Die Krombachs waren fast alle Bauern geblieben, mussten fürs Vieh früh raus, oder sie arbeiteten in der Kartonagenfabrik in Lauterbach, wo die Schicht um sechs begann. Normalerweise gingen bei ihnen um zehn die Lichter aus. Doch heute war das anders. Es war schon gegen Mitternacht, dennoch brannte in einem der Häuser
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