Schattenhaus
darunter exakt ab. Zum Rolli trug sie eine Cargohose in Khaki und Turnschuhe. Winter fiel sein alter Verdacht ein, sie könnte lesbisch sei. Vielleicht stimmte es doch.
«Der Kollege simst mir übrigens jetzt», sagte Aksoy mit einem Blick auf ihr Handy, «dass die Tasche von der dänischen Kette Superbest vertrieben wurde. Machen Sie denn auch in Dänemark Ausgrabungen?»
Grafton holte zu einer großen Geste aus.
«Die dänische Regierung hat mich zwar schon ein paarmal darum gebeten. Ich habe aber immer abgesagt. Allerdings war ich mal auf einem Kongress in Aarhus. Jetzt erinnere ich mich auch, dass ich die Tasche damals gekauft habe.»
Aksoy lächelte strahlend. «Fein», sagte sie. «Dann sind wir einen Schritt weiter.» Sie zwinkerte Winter zu.
Der wunderte sich. Konnte es sein, dass die hyperkorrekte Aksoy eben gelogen und den dänischen Ursprung der Tasche erfunden hatte, um Grafton eine Falle zu stellen?
«Zwei Schritte weiter, denn der Verletzte ist ein ehemaliger Student von Ihnen», versuchte Winter einen Stich ins Blaue.
Grafton hob abwehrend beide Hände. «Was weiß ich, auf dem Bild erkenn ich ihn nicht.»
«Ich würde gerne noch mal auf den Schrank im ersten Stock zurückkommen», wechselte Aksoy das Thema. «Zuerst haben Sie behauptet, Sie hätten ihn selbst aufgebrochen und es würde nichts fehlen. Dann fiel Ihnen ein, Sie hätten den Schrank nach dem Aufbrechen reparieren lassen und es müsse ihn heute jemand anderer aufgebohrt haben, und dann fehlte plötzlich doch etwas, nämlich irgendein wertvolles Fundstück aus Gold. – Warum ist Ihnen das nicht gleich aufgefallen? Der Schrank enthält drei Regalbretter mit ein paar alten Knochen. Wenn ein einziges Stück aus Gold dazwischen ist, ein Stab von zwanzig Zentimetern Länge, dann sieht man doch gleich, dass es fehlt. Andererseits, wie sicher können Sie sein, dass die Knochen alle da sind? Haben Sie eine Inventarliste?»
«Gutes Polizistenfräulein, wenn Sie wüssten, wie wichtig diese Stücke jeweils sind, dann wüssten Sie, warum ich keine Inventarliste brauche. Auf den Stab habe ich zuerst nicht geachtet, weil er das mit Abstand am wenigsten alte und wertvolle Teil in der Sammlung darstellt. Der Einbrecher war aber offensichtlich ebenso ein Banause wie Sie und hat nach dem Gold gegriffen und den Rest liegengelassen.»
Der Chef der Suchmannschaft stand plötzlich in der Tür und sah Winter an. «Kannst du mal kurz kommen?»
Als Winter mit ihm draußen auf der Galerie stand, zeigte der Kollege, was er in seinen behandschuhten Händen hielt: einen gut fingerdicken, zwanzig Zentimeter langen goldenen Stab, in den winzige hieroglyphenartige Figuren eingraviert waren.
«Wo?», fragte Winter leise.
«Im Spülkasten von dem unrenovierten kleinen Klo im ersten Stock.»
Winter fiel dazu nur eines ein: Der Hausherr musste den Goldstab heute Nachmittag selbst dort versteckt haben. Vielleicht wollte er den Eindruck erwecken, dass er gestohlen worden sei, um Geld von einer Versicherung zu kassieren. Möglicherweise waren die morschen alten Knochen im Schrank tatsächlich noch weit wertvoller. Aber die hätten ein Wasserbad schlechter vertragen.
«Sind die Sachen in dem Schrank eigentlich versichert?», fragte Winter unschuldig, als er das schwarz behängte Fernsehzimmer wieder betrat.
«Hier ist alles versichert», verkündete der Hausherr stolz.
«Und auf wie viel hat die Versicherung diesen fehlenden Goldstab geschätzt?»
«Siebzigtausend, achtzigtausend ungefähr. So etwas ist natürlich in Wahrheit unbezahlbar. Das Stäbchen ist siebeneinhalbtausend Jahre alt, das einzige seiner Art, und trägt Inschriften, die noch nicht gedeutet sind. Sie haben keine Ahnung, was das in der Archäologie heißt.»
Das hatte Winter sehr wohl. Er entsann sich jetzt sogar, über den mysteriösen Stab vor Jahren einen Artikel in einem Nachrichtenmagazin gelesen zu haben. Und deshalb war er schon ziemlich verwundert, dass sich etwas archäologisch so Bedeutsames in Privatbesitz befand.
«Gehört der Stab eigentlich Ihnen persönlich?»
«Ja, sicher. Ich bin der Finder.»
War das so in Hessen, dass Schatzgräber behalten konnten, was sie fanden? Winter würde das überprüfen.
«Ähm», begann Aksoy, «aber in welcher Funktion haben Sie denn die Grabung gemacht? Als Professor der Frankfurter Uni? Dann müsste doch die Uni die Eigentümerin sein.»
«Gutes Polizistenfräulein, davon verstehen Sie gleich gar nichts.»
«Ich würde eher sagen»,
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