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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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Das soll an sich nur dafür sorgen, dass kein totaler Mist in den Zeitschriften steht. Aber das System lässt sich natürlich durch einen böswilligen Reviewer missbrauchen. Wenn Grafton eine Arbeit über Rautenkeramik zerreißt, dann können Sie lange nach der Zeitschrift suchen, die die Arbeit trotzdem druckt. Wer will es sich schon mit dem großen Mann verderben? Im Geheimen über ihn lästern tun viele, aber ihm ins Gesicht wird geschleimt, dass es einem schlecht wird. Ich hab schon gestandene Wissenschaftler sich vor dem Mann verbeugen sehen wie Japaner vor dem Tenno.»
    Winter spürte, wie sein Gesäß kalt wurde; seine Hüften und Knie schmerzten von der ungewohnten Sitzposition auf der Wiese. Vielleicht war es doch nicht so idyllisch, hier im Gras zu lesen, wie er vorhin gedacht hatte. Auf seiner Jeans entdeckte er eine Ameise.
    «Okay, danke so weit, Frau Voss. Sie scheinen ja richtig froh zu sein, dass Sie Ihren Ärger über Grafton mal loswerden konnten. Seine Datierungen sind aber offenbar trotz allem in Ordnung. Ich habe eben nämlich erfahren, dass die wichtigsten Datierungen von unabhängigen Laboren überprüft und bestätigt wurden.» Er stand vorsichtig auf.
    «Tatsächlich?», sagte Ute Voss und tat es ihm gleich. «Woher wissen Sie das?»
    «Das steht im Fundkatalog der Universität.»
    Sie lachte verächtlich. «Im Fundkatalog der Uni? Na, das ist ja eine Quelle! Wenn im Fundkatalog eine Kontrolldatierung steht, dann heißt das nur, dass Grafton sie da eingetragen hat. Ob die Kontrolle auch wirklich stattgefunden hat, das steht auf einem anderen Blatt.»
    «Meinen Sie?»
    Sie nickte emphatisch. «Glauben Sie mir, ich kenne den Mann. Der lügt sich fröhlich durchs Leben. Ich interessiere mich selbst zum Glück nicht für die Jungsteinzeit, wohlweislich nicht. Aber wenn mein Spezialgebiet die Ausbreitung der Landwirtschaft in Europa wäre, dann würde ich an dem juvenilen Ziegenschädel aus diesem berühmten Rautenkeramik-Grab mal heimlich eine Probe nehmen und sie datieren lassen.»
    Sprach’s, verabschiedete sich und ging ihrer Wege.
    ***
    Winter fiel ein, wo dieser Ziegenschädel sich derzeit befand. Man hatte ihn, in Unkenntnis seiner Bedeutung und unter Graftons heftigem Protest, gemeinsam mit sämtlichen anderen Stücken aus dem aufgebrochenen Metallschrank als Asservat eingesammelt, zur Untersuchung auf Täterspuren.
    Vielleicht konnten sie eine Radiokarbondatierung in Auftrag geben. Das war zwar kriminaltechnisch ungewöhnlich. Aber in diesem Fall war es vom Ergebnis einer C- 14 -Datierung abhängig, ob Grafton ein Motiv hatte, Bründl und die Hausangestellte zu töten, oder nicht.
    Winter rief Freimann an. Der wusste genau, was eine Radiokarbondatierung war. Es stellte sich heraus, dass sie die Methode schon gelegentlich genutzt hatten. «Zum Beispiel, als bei Bauarbeiten im Gutleut mal ein Massengrab mit an die zwanzig Skeletten freigelegt wurde. Da brauchten wir die Datierung, um sicherzugehen, dass das nicht die Spuren eines modernen Serienmörders waren, sondern ein historisches Grab. Es wurde dann auf irgendeine Kriegs- und Seuchenzeit um 1800 datiert, wenn ich mich recht entsinne.»
    «Wo habt ihr das denn damals in Auftrag gegeben? Das habt ihr doch extern machen lassen, oder? Bei welchem Labor?»
    «In Erlangen, glaube ich. Hier in Frankfurt an der Uni gibt’s wohl auch eine Möglichkeit, aber die haben keinen guten Ruf, hatte ich mir damals von Wiesbaden sagen lassen.»
    Winter grinste. «Weißt du, wer der Leiter des Frankfurter C- 14 -Labors ist? Niemand anderer als unser Freund Grafton. Also, wir brauchen eine Datierung dieses Ziegenschädels aus dem Schrank. Aber nicht aus Frankfurt. Erledigst du das?»
    «Klar, wird gemacht.»
    ***
    Andrea Vogel war die kleine Merle nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Ein Mädchen, das sich aus dem Telefonbuch die erstbeste Frau heraussucht, die zufällig denselben Nachnamen trägt, und diese dann bittet, sie abzuholen und ihre neue Mami zu werden – wie verzweifelt musste dieses Kind sein?
    Andrea hatte ihrer Freundin Ulli von dem Vorfall erzählt. Ulli war zwei Stunden nach dem seltsamen Telefonat vorbeikommen, direkt von der Arbeit und ausgepowert, die dunklen Haare schweißverklebt an den Schläfen, wie immer, wenn sie stundenlang mit Schutzhaube bei Hoechst, neuerdings Aventis, im Labor gestanden hatte. Von Ulli kam zunächst kein Kommentar. «Gott, ich hab’s im Rücken», stöhnte sie mehr wohlig als gequält und legte sich über

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