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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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stimmt’s?»
    «Richtig. Können Sie mir da weiterhelfen?»
    «Das kommt drauf an, was Sie wissen wollen. Mir ist aufgefallen, dass Sie nur die älteren Professorenkollegen befragt haben. Es kann sein, dass die nicht die richtige Quelle sind. Die kennen den doch bloß aus der Fachbereichssitzung.»
    «Ich kann es gerne mit Ihnen versuchen. Andreas Winter, Kripo Frankfurt. Wer sind Sie?»
    «Ute Voss, ich bin Post-Doc und Dozentin für Paläobotanik im Studiengang Archäometrie. Zu unserem Studiengang sollte eigentlich auch eine Ausbildung an Graftons C- 14 -Apparat gehören. Das sagt Ihnen jetzt nichts, aber es ist ein ziemlich wichtiges technisches Hilfsmittel in der Archäologie und Paläoanthropologie.»
    «Für Datierungen, richtig?»
    «Genau. Jedenfalls, Grafton hat sich standhaft geweigert, jemanden außer seiner eingeschworenen Jüngerschaft an den Apparat zu lassen. Und die Unileitung hat ihm das durchgehen lassen. Wie so ziemlich alles andere auch.»
    Winter ließ sich zum Gespräch mit Ute Voss auf der Wiese vor dem Hauptgebäude nieder, unter hängenden Weidenzweigen, die windbewegte Schatten auf ihr Gesicht warfen.
    Sie habe selbst zwei Semester Ur- und Frühgeschichte bei Grafton studiert, erzählte sie, und das sei so furchtbar gewesen, dass sie danach zum Nebenfach Geologie gewechselt sei. «Bei Grafton gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man kriecht ihm in den Hintern und beklatscht jeden Rülpser, oder man wird rausgeekelt. Man muss den eigentlich nur eine Woche kennen, dann weiß man das schon. Um zu merken, dass er auch ein korrupter Betrüger ist, braucht es etwas länger.»
    «Korrupter Betrüger? Können Sie das spezifizieren?»
    «Zum Beispiel datiert er oft irgendwelche Heiligenknochen und Reliquien für die Kirche. Wie viel Geld da fließt, weiß keiner so genau, aber den Erlös steckt er jedenfalls in die eigene Tasche. Dabei ist das C- 14 -Labor vom Steuerzahler bezahlt und gehört der Uni. Für seine edle Villa aus ehemaligem Unibesitz hat Seine Lordschaft laut Gerüchten nur 300000  Euro bezahlt, wen auch immer er dafür bestochen hat.»
    «Das waren jetzt Beispiele für Korruption. Können Sie mir auch welche für Betrug nennen?»
    «Was er so alles als Doktorarbeit durchwinkt bei seinen Claqueuren grenzt schon an Betrug. Aber das meinte ich gar nicht. Der Mann wirkt einfach furchtbar unehrlich. In den Vorlesungen erzählt er ständig irgendwelche Heldengeschichten, was er alles könne und gemacht und erlebt habe und mit wem zusammen er jetzt wieder in New York essen war, und meine Tendenz ist, ich glaube ihm kein Wort. Der ist einfach ein pathologischer Wichtigtuer. Außerdem finde ich es sehr verdächtig, dass er nie jemanden außer seinen Lieblingen in dem C- 14 -Labor arbeiten lässt. Vielleicht ist er beim Datieren genauso inkompetent wie in tausend anderen Sachen. Alte Geschichte, Geologie, Vorderer Orient und so, da hat er in der Vorlesung immer wieder peinliche Fehler gebracht. Ich würde keiner einzigen Datierung trauen, die aus Graftons Labor stammt.»
    Das war eigentlich Musik in Winters Ohren. Nur war es leider, wie er eben von dem bärtigen Behrwald erfahren hatte, eine falsche Verdächtigung, aus persönlicher Abneigung geboren. Immerhin schien André Bründl nicht der Einzige zu sein, der mit Grafton ein Problem gehabt hatte.
    Was Winter wieder an die Möglichkeit erinnerte, dass Grafton selbst das Ziel des Mordanschlags gewesen war.
    «Wissen Sie, ob Grafton regelrechte Feinde hat?», fragte er Ute Voss. «Leute, die sich möglicherweise an ihm rächen wollen?»
    Die Paläobotanikerin schüttelte sich vor Lachen. «Sie stellen Fragen! Natürlich hat er Feinde. Es gibt zig begabte ehemalige Studenten und Doktoranden, die von Grafton rausgeekelt worden sind, weil sie ihm zu kritisch und zu selbständig und zu wenig unterwürfig waren. Denen hat er die Karriere verbaut. Wer einmal rausgekickt wurde aus dem System, kommt nicht so leicht wieder rein. Sie können ja hierzulande nicht mal was veröffentlichen, wenn Ihre Nase Grafton nicht passt. Der sitzt doch im Herausgeberzirkel von sämtlichen archäologischen Zeitschriften. Wann immer etwas über seine Spezialthemen eingereicht wird, Rautenkeramik zum Beispiel, wird vorher sowieso Grafton um ein Gutachten gebeten.
Peer review
nennt sich das neudeutsch. Das heißt, eine neue Forschungsarbeit muss erst mal von Experten auf dem Gebiet abgeklopft werden, ob sie korrekt argumentiert und der Veröffentlichung würdig ist.

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