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Schattenhaus

Schattenhaus

Titel: Schattenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Reichenbach
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die Tischplatte, eine Aufforderung an Andrea, sie zu massieren. Auf dem Herd köchelte der Sugo vor sich hin. Derweil gab Andrea Ulli eine Streichelmassage, bei der sie sich nach und nach entspannte, schnurrend wie eine Katze. Nach fünf Minuten richtete Ulli sich plötzlich auf. «Erzählst du mir das noch mal, mit diesem Anruf und dem Kind? Ich glaub, ich hab da was nicht mitgekriegt.»
    Andrea erzählte noch einmal. Ulli blickte nachdenklich. «Das können wir doch nicht auf sich beruhen lassen, oder?», sagte sie schließlich. «Wir müssen irgendwen informieren, die Polizei oder das Jugendamt. Auf jeden Fall war das ein Hilferuf. Und wir kennen ja den Namen des Mädchens. Merle Vogel. Lustiger Name übrigens.
Merle
heißt auf Französisch Amsel. Amsel Vogel.»
    Es war Freitagabend. Andrea hielt es für klüger, bis zum folgenden Montag zu warten. Dann probierte sie es bei der Polizei. Dort erklärte man sich für nicht zuständig und verwies auf das Jugendamt. Nachdem Andrea im Jugendamt nach langen Warteschleifen endlich jemanden an der Strippe hatte, war die Gesprächspartnerin alles andere als hilfreich. Andrea hatte den Eindruck, dass sie abgewimmelt und ihr Hinweis nicht einmal notiert wurde. Sie besprach sich danach mit Ulli, und die sagte: «Mach’s schriftlich.»
    Andrea folgte dem Rat. Schriftlich, auf Papier. Jetzt, drei Wochen später, bekam sie eine Antwort, ebenfalls per Schneckenpost. Andrea öffnete gespannt den Brief.
    Sehr geehrte Frau Vogel,
    vielen Dank für Ihren Hinweis. Wir können uns vorstellen, um welches Kind es sich handelt. Tatsächlich war wohl die Pflegefamilie, bei der sich das Mädchen zur Zeit Ihres Kontaktes befand, nicht geeignet. Hier haben wir bereits Konsequenzen gezogen.
    Mit freundlichen Grüßen
    Andrea staunte. Die kleine Merle war dem Jugendamt bekannt. Sie war ein Pflegekind. Es war einerseits beruhigend, dass sie aus der schlimmen Familie jetzt draußen war. Andererseits: Welche Garantie gab es, dass das Jugendamt nun bessere Leute auswählte? Eine Frau, die Merle die «Mami» sein konnte, nach der sich das Kind so sehnte?
    Überhaupt: Was war mit der leiblichen Mutter? Warum ließ sie das Kind so im Stich?
    Andrea machte sich noch immer Sorgen um Merle Vogel.
    ***
    Nach dem Gespräch mit der Paläobotanikerin Ute Voss hatte Winter sich doch noch zu einer weiteren Recherche an der Uni entschlossen. Er stand im Prüfungsamt, neben dem verfallenden alten Uni-Turm gelegen, und wartete an einem Tresen, während eine junge Mitarbeiterin mit Feuereifer dabei war, ihm Daten zusammenzusuchen. Als sein Telefon klingelte, ging Winter ein paar Schritte zur Seite und nahm das Gespräch an.
    «Winter.»
    «Hallo Andi, Hilal hier. Wir haben gerade zwei Ergebnisse von der KT reinbekommen. Sitzt du?»
    «Ja», log er. Was kam denn jetzt?
    «Also, das Fasergutachten sagt, die Sporttasche gehört tatsächlich André Bründl, wie sein Bruder gesagt hat. So weit keine Überraschung. Jetzt kommt’s. Die Waffe, aus der die Schüsse auf Verena Tamm und André Bründl stammen, die hat irgendeinen Fehler im Lauf, der eine kleine Spur auf dem Geschoss hinterlässt. Mike sagt, das ist sehr selten, aber er hatte so was dieses Jahr schon mal. Er hat nachgesehen und er meint, es war bestimmt dieselbe Waffe wie im Doppelmord Vogel. Ich hab gedacht, du willst das sofort wissen.»
    Winter hatte jetzt tatsächlich das Bedürfnis, sich zu setzen. Aber es war kein freier Stuhl zu sehen.
    «Unglaublich. Okay, danke, wir reden später darüber.»
    Die junge Prüfungsamtsmitarbeiterin warf ihm einen neugierigen Blick zu. Das Wort Kriminalhauptkommissar und ein nettes Lächeln hatten vorhin ihre Augen zum Leuchten gebracht. Sofort war sie voller Eifer gewesen, ihm zu helfen, bei einer Anfrage, die, schriftlich formuliert, wahrscheinlich gegen eine datenschutzrechtliche Wand gedonnert wäre. Informationen herauszurücken, die die Kriminalpolizei brauchte, war meistens legal. Aber Winter wusste, wie so etwas an großen Institutionen lief: Die Mitarbeiter waren unsicher, also befragten sie den Justiziar. Justiziare wiederum, so Winters Erfahrung, neigten zu übertriebener Vorsicht, weil sie Angst hatten, für spätere Regressforderungen verantwortlich gemacht zu werden. Die Auskunft von Justiziaren auf die Frage «Können wir das machen?» war daher zumeist: «Vorsichtshalber lieber nicht.»
    Deshalb hatte es Winter hier unbürokratisch mündlich versucht und Glück gehabt. Was er wollte, war eine Liste mit

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