Schattenherz
gekämpft hätte. Aber Euer Junge ging auf sie los, ich glaube, nur um mir zu zeigen, daß er dazu fähig war.
Vermutlich hätte er sie auch umgebracht. Aber sie sahen ihn kommen und sprangen hinunter. Jetzt sah der Eber sie also wie Bhilot aus dem Baum fallen und beschloß, von Eurem Sohn abzulassen und statt dessen auf Eichelsuche zu gehen…«
Bei dieser Erinnerung mußte Baron Poll kichern.
»Ich glaube«, fuhr Baron Poll fort, »in diesem Augenblick wurde mir klar, daß der junge Knappe Borenson eines Tages Kommandant der Königlichen Garde werden würde.
Entweder das, oder er würde ins Verderben rennen. Vielleicht beides.«
»Beides?« Roland betrachtete jetzt das Gesicht des Barons.
Der Mann war ungeheuerlich – dreihundert Pfund Fett, dicht überwuchert von Haar so dunkel wie die Nacht. Sein Gesicht jedoch wirkte nachdenklich.
»Wer Kommandant der Königlichen Garde wird, behält den Posten selten lange. Wißt Ihr, daß König Ordens Familie während der letzten acht Jahre dreimal von Meuchelmördern heimgesucht wurde?«
Drei Angriffe in acht Jahren schien eine Menge. Roland hatte in der jüngeren Geschichte nichts Vergleichbares gehört. Als er seine Gabe des Stoffwechsels in die Dienste des Königs gestellt hatte, hatte er sich nicht träumen lassen, in solch finsteren Zeiten wieder aufzuwachen. Sein König tot, das gesamte Königreich Mystarria heimgesucht von Eindringlingen. »Das wußte ich nicht«, sagte Roland. Er hatte zwanzig Jahre lang geschlafen und nicht recht Gelegenheit gehabt, sich über die jüngste Geschichte auf dem laufenden zu halten. Er fragte sich, ob Orden zu Hause irgendwelche Schwierigkeiten gehabt hatte – irgendeinen Nachbarn, der ihm ans Leder wollte. »Wer hat die Meuchelmörder geschickt?«
»Natürlich Raj Ahten«, antwortete Baron Poll. »Beweisen konnten wir es nie – aber wir hatten ihn stets im Verdacht.«
»Ihr hättet einen Meuchelmörder aussenden sollen, der ihm auflauert«, erwiderte Roland äußerst empört.
»Haben wir – zu Dutzenden. Alle Königreiche Rofehavans zusammen haben Hunderte, vielleicht sogar Tausende
geschickt. Wir haben versucht, ihn und seine Erben zu töten, seine Übereigner und Verbündete auszuradieren. Auch die Unabhängigen Ritter haben ihre Streitkräfte geopfert.
Verdammt, wir haben es hier nicht mit einem kleinen Grenzscharmützel zu tun.«
Es überraschte ihn, daß ein einzelner Wolflord so viele Angriffe abwehren und noch immer so mächtig sein konnte, wie Raj Ahten es den Gerüchten zufolge war.
Doch Indizien dafür gab es überall. Den ganzen Nachmittag über waren Roland und Poll auf ihrem Ritt Bauern begegnet, die von Norden kommend auf der Flucht waren. Männer und Frauen zogen Karren hinter sich her, die mit Kleiderbündeln, ein paar wenigen Vorräten und den kargen, ihnen verbliebenen Habseligkeiten beladen waren. Bei anderen Gelegenheiten hatten sie Anzeichen für jüngste
Truppenbewegungen gesehen – die Krieger Mystarrias, die nach Norden in den Kampf marschierten.
Roland verstummte.
»Oho«, murmelte Baron Poll. »Was haben wir denn hier?«
Sie kamen um eine Biegung und blickten einen Hang
hinunter. Vor ihnen auf der Straße lag ein gestürztes Pferd.
Dem Anschein nach mit gebrochenem Bein. Das Tier hatte den Kopf gehoben und sah sich ermattet um, sein Reiter lag halb unter ihm begraben. Der Mann trug die Kleider eines königlichen Boten – Lederhelm, grünes Gewand, mitternachtsblaues Wams mit dem Bild des grünen Ritters auf der Brust.
Der Bote hatte sie, indem er ihnen zuschrie, sie sollten ihm den Weg freimachen, vor nicht mal einer Stunde überholt.
Jetzt rührte sich der Mann nicht mehr.
Roland und Baron Poll jagten vorwärts. Die Senke in der Straße war vom Regen der vergangenen zwei Tage schlammig – nicht so schlammig, daß man es sofort bemerkte. Roland konnte jedoch erkennen, wo das Pferd in der Kurve
ausgerutscht und einhundert Meter weit geschlittert war, wo es sich den Fuß verdreht und überschlagen hatte. Ein Kraftpferd – eines mit drei Gaben des Stoffwechsels – in vollem Tempo zu reiten stellte eine riskante Angelegenheit dar. Ein Pferd, das versuchte, bei sechzig Meilen in der Stunde eine Biegung zu bewältigen, setzte leicht einen Huf falsch auf und landete dann möglicherweise an einem Baum.
Der Bote war ganz offensichtlich tot. Der Kopf des Mannes lag in einem unansehnlichen Winkel vom Hals abgeknickt da, seine Augen waren glasig. Fliegen tanzten rund um seine Zunge in
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