Schattenherz
Grundkenntnisse des Bogenschießens schneller begriffen hatte, als ihr dies möglich erschienen war.
»Versucht es noch einmal«, drängte Lord Hoswell sie. »Und zieht den Bogen diesmal weiter nach hinten. Ihr müßt das Ziel hart treffen, wenn der Pfeil richtig durchschlagen soll.«
Myrrima nahm einen Pfeil aus ihrem Köcher und betrachtete ihn kurz. Der Pfeilmacher hatte seine Arbeit übereilt erledigt.
Eine der weißen Gänsefedern war nicht ordentlich verklebt.
Sie befeuchtete den Finger mit der Zunge und drückte die Feder behutsam an ihren Platz, dann nahm sie den Pfeil fest zwischen die Finger, legte dessen Kerbe auf die Sehne und zog ihn bis zum Ohr zurück.
»Wartet«, unterbrach Sir Hoswell sie. »Ihr müßt Eure Haltung korrigieren.«
Er stellte sich hinter sie, und sie spürte die Wärme seines Körpers, die Wärme seines Atems in ihrem Nacken, »Drückt den Rücken durch und dreht den Körper ein wenig mehr zur Seite – so etwa.«
Er hob die Hand und umfaßte ihre linke Brust, korrigierte ihre Haltung um vielleicht einen halben Zoll, dann stand er bebend da und hielt sie fest. Dem Mann schlotterten die Beine.
Sie spürte, wie sie vor Verlegenheit errötete. In Gedanken aber hörte sie Gaborns, des Erdkönigs, Stimme, die sie warnte: »Lauf. Du bist in Gefahr. Lauf fort!«
Plötzlich erfüllte sie solche Angst, daß sie den Pfeil, ohne zu wollen, fliegen ließ. Sir Hoswell hielt einfach weiter ihre Brust, massierte sie.
So schnell sie konnte, so daß er es trotz seiner Gaben des Stoffwechsels nicht verhindern konnte, rammte sie ihm das Knie in den Unterleib.
Mit Erleichterung stellte sie fest, daß er keinen Hosenbeutel trug.
Sir Hoswell brach halb zusammen, allerdings klammerte er sich an ihre Bluse und versuchte sie mit nach unten zu zerren.
Gaborns Stimme erscholl ein zweites Mal in ihrem Kopf.
»Lauf!«
Sie versetzte ihm einen Schlag auf den Adamsapfel. Er versuchte zurückzuweichen, wodurch er ihre Bluse soweit losließ, und nun kam sie frei.
Sie drehte sich um und wollte fliehen.
»Nein!« brüllte der Ritter und lief ihr wankend hinterher.
Er bekam ihren Knöchel zu fassen und brachte sie zum Stolpern. Myrrima schrie: »Vergewaltigung!« schraubte sich herum und trat im Fallen nach ihm.
Dann war er über ihr.
»Verdammtes Weibsstück!« fauchte er und klatschte ihr eine Hand ins Gesicht. »Halt’s Maul, oder ich schließe es dir für immer.«
Er drehte seine Hand, stemmte seine Handfläche unter ihr Kinn und drückte mit unglaublicher Kraft zu, wobei ihr Hals schmerzhaft zurückgebogen wurde. Dann brachte er seine Finger in die richtige Position, um ihr die Nasenlöcher zuzuhalten. Seine Handfläche lag über ihrem Mund, und sie bekam keine Luft mehr. Sein Körpergewicht lastete auf ihr, und sie konnte sich nicht befreien. Dennoch wehrte sie sich – stieß ihm den Nagel ihres Daumens so fest in sein rechtes Auge, daß das Blut aus der Augenhöhle schoß.
»Verdammt!« fluchte er. »Muß ich dich erst umbringen!«
Er boxte sie hart in den Unterleib, wodurch ihr die Luft aus den Lungen gepreßt und der Mageninhalt in die Kehle stieg.
Eine Weile rang sie mit dem einzigen Ziel, Luft zu bekommen, stumm weiter, während er sich abmühte, mit seiner freien Hand den Gürtel zu lösen. Die Lungen brannten ihr vor Atemmangel, und die Welt vor ihren Augen färbte sich rot. Im Kopf drehte es sich ihr, als stürzte sie in die Tiefe.
Dann vernahm sie ein knackendes Geräusch, und alle Luft entwich aus Sir Hoswell.
Jemand hatte ihm einen Tritt verpaßt – einen so festen Tritt, daß ihm die Rippen brachen.
Myrrima schnappte nach Luft, spürte, wie ihre Lungen sich füllten und bekam doch immer noch nicht genug davon.
»Was ist denn hier los?« fragte eine Stimme. Es war die Stimme einer Frau, die mit starkem Akzent sprach, und Myrrima war anfangs überhaupt nicht bewußt, daß es sich um Rofehavanisch handelte.
Sie sah auf. Die Frau, die über ihr stand, hatte blaue Augen und gewelltes schwarzes Haar, das ihr in Locken über die Schultern fiel. Sie mochte vielleicht zwanzig Jahre alt sein. Ihre breiten Schultern verrieten mehr Kraft, als ein Arbeitssklave besaß. Sie trug ein schlichtes, braunes Gewand über einem derben Kettenpanzerhemd, und hielt eine schwere Axt in der Hand.
Hinter ihr stand eine unscheinbare Frau im Gewand einer Gelehrten, eine Days.
Mit einem Blick hinüber zu Sir Hoswell wollte sich Myrrima schon fragen, ob ihm die Frau mit der Axt einen tödlichen Schlag
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