Schattenherz
Königs klüger geworden und verkleideten sich jetzt.
Akhoular besaß fünf Gaben der Sehkraft. Selbst aus einer Meile Entfernung konnte er die Entschlossenheit in den Gesichtern der Männer erkennen. Der jüngere Bursche, ein kräftiger Kerl auf einem leichtfüßigen Pferd, trug eine dunkelgrüne Botentasche am Handgelenk. Der Dicke war gut bewaffnet.
Ja, die Boten des Königs wurden vorsichtiger. Nun ritten sie ohne die königlichen Wimpel, und dieser hier ließ sich von einem Ritter begleiten, der ihn beschützte.
Akhoular pfiff in Richtung Lagerplatz am Fuß des Baumes.
Ihm gingen die Männer aus. In dieser Woche hatte er drei Meuchelmörder verloren. Trotzdem rief er einen jungen Mann herbei, einen Meister in der Bruderschaft der Stillen.
»Zwei Reiter, Bessahan! Sie haben eine Nachricht dabei«, sagte er. Er deutete in Richtung Straße, obwohl der Meuchelmörder unter ihm nicht durch den Wald sehen konnte.
»Sie werden Carris nicht erreichen«, versicherte Bessahan dem Weitseher. Der Stille sprang auf sein Pferd und zog sich seine verdreckte braune Kapuze tief ins Gesicht. Mit einem prüfenden Griff hinter den Sattel vergewisserte er sich, ob sein Hornbogen an den Satteltaschen festgebunden war. Dann gab er seinem Pferd die Sporen und jagte den Hang hinunter.
KAPITEL 6
Bei den kleineren Lords
S
eht Ihr, das ist schon besser«, lobte Sir Hoswell. Myrrima sah zu, wie ihr Pfeil bogenförmig in den Himmel stieg und achtzig Meter entfernt ins Ziel traf. Ihr Schuß senkte sich einen Fuß zu kurz, dennoch hatte sie zum drittenmal in Folge den roten, an einem Heuhaufen festgesteckten Kreis aus Stoff getroffen, und darauf war sie stolz.
»Gut, meine Dame«, sagte Sir Hoswell. »Wiederholt das jetzt zehntausendmal, und dann habt Ihr es verinnerlicht. Lernt erst auf diese, dann auf immer größere Entfernungen zu schießen, und schon bald werdet Ihr mit dem Bauch und nicht mehr mit Kopf und Händen schießen.«
»Ich werde höher zielen müssen«, verbesserte sie ihn. Ihr machte die Vorstellung zu schaffen, noch zehntausendmal schießen zu sollen. Bereits jetzt schmerzten Finger und Arme von der Anstrengung. »Einen Unbesiegbaren hätte dieser Schuß nicht aufgehalten.«
»Ach was«, erwiderte Sir Hoswell. »Vielleicht hättet Ihr ihn nicht getötet, aber Ihr hättet ihn zum Eunuchen gemacht. Und hättet Ihr ihn an einer Vergewaltigung hindern wollen, wäre er bestimmt mit mehr als einem schlaffen Glied davongehumpelt.«
Myrrima warf ihm einen Seitenblick zu. Sir Hoswell grinste breit. Der Mann war drahtig, hatte einen buschigen
Schnauzbart, einen dünnen Bart und die schweren Lider einer Echse, die im Halbschlaf auf einem warmen Stein liegt. Man hätte sein Lächeln für freundlich halten können, wären seine Zähne nicht so schief gewesen.
Sir Hoswell stand ganz nahe bei ihr, zu nahe. Myrrima konnte nicht anders, ihr war unbehaglich zumute. Sie befanden sich auf einer Lichtung in einem engen Tal, unweit der von den kleineren Lords aus Heredon errichteten Zelte.
Gestern noch hatten Hunderte von jungen Burschen hier Bogenschießen geübt, aber heute, am Tag des Großen Festes, war Myrrima hier auf einmal alleine mit Sir Hoswell. Auf allen Seiten rückten Bäume bis auf eine Entfernung von fünfzig Metern heran, und sie fühlte sich allein und verwundbar.
Sie kannte ihn fast ihr Leben lang – schließlich stammte er aus Bannisferre –, trotzdem traute sie ihm heute aus irgendeinem Grund nicht über den Weg. Der Nachmittag war fast verstrichen, und sie fragte sich, ob sie sich auf den Weg zurück in die Burg begeben sollte.
Die Eichen auf den Hügeln bildeten eine natürliche Barriere, hinter der ihr Tun verborgen blieb. Myrrima hatte keine weiteren Zeugen dabei. Sie wußte, hier mit einem anderen Mann als ihrem Gatten allein zu sein, mochte skandalös erscheinen, doch da sie sich einmal entschieden hatte, sich auf den Krieg vorzubereiten, wollte sie Borensons Aufmerksamkeit nicht auf sich lenken. Wenn ihr Gemahl dahinterkäme, was sie plante, würde er, so fürchtete sie, es ihr verbieten. Sie brauchte jemanden, der sie in der Kunst des Krieges unterwies.
Lord Hoswell war ein Freund ihres Vaters gewesen,
außerdem ein ausgezeichneter Bogenschütze. Sie hatte ihn hier beim Üben seiner Fertigkeiten angetroffen, und er hatte sich bereit erklärt, ihr am Nachmittag Unterricht zu erteilen. Ihre Mutter hatte ihr eine Woche zuvor eine Gabe der Geisteskraft abgetreten, und Myrrima stellte fest, daß sie die
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