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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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Unter
    Himmelsgleitern war es außerdem der Abschiedsgruß, eine Beschwörungsformel vor Antritt jeder Reise.
    »Niemals«, gab Averan zurück. Er warf ihr einen kleinen Beutel zu, in dem es klimperte, als sie ihn fing. Es klang nach Münzen. Vermutlich seine ganzen Ersparnisse.
    Sie schlang dem Graak die Beine um den Hals, spürte, wie seine Muskeln sich spannten und entspannten, während er auf ihr Kommando wartete.
    Gern hätte sie mehr Zeit gehabt, sich von Brand zu
    verabschieden. Ein Teil von ihr wollte nicht recht wahrhaben, daß die Greifer tatsächlich im Anmarsch waren. Der Bergfried sah an diesem Morgen genauso aus wie an jedem anderen Morgen im Herbst. Hier draußen auf dem Landeplatz, hoch über der Burg, rankten sich Frauenhaarfarne und ein paar Purpurwinden mit ihren weit geöffneten, tiefvioletten Blüten am Fels hinauf. Die Luft war still und friedlich. Von den Bollwerken unten wehte der Geruch von Kochfeuern herauf.
    Ihr Verstand sträubte sich gegen die Vorstellung, diesen Ort zu verlassen. Unter normalen Umständen hätte sie den Graak vor einem so langen Flug ausgiebiger gefüttert. Sie hätte Ledernacken am liebsten erlaubt, mehr zu fressen, aber das Tier wäre dann wohl kaum in der Lage gewesen, sie zu tragen und seinen vollen Bauch dazu.
    Ihre Kehle fühlte sich an wie ausgetrocknet. Bittere Tränen brannten ihr in den Augen. Schniefend fragte sie ein letztes Mal: »Was wirst du tun? Wirst du die Burg verlassen?
    Versprichst du mir, dich zu verstecken – wenn nicht deinetwegen, dann für mich?«
    »Es wäre glatter Selbstmord, vor den Greifern davonzulaufen«, erwiderte Brand. »Sie würden mich wie eine Wurst in Stücke schneiden. Außerdem fürchte ich, in meinem Zustand würde ich einen schlechten Bogenschützen auf der Burgmauer abgeben.«
    »Dann versteck dich mir zuliebe«, bettelte Averan. Brand bedeutete ihr alles – Vater, Bruder, Freund. Sie hatte keine Familie. Ihr Vater war vor ihrer Geburt bei einem Scharmützel mit Greifern gefallen, und ihre Mutter war nach einem Sturz gestorben, als Averan noch ein Kleinkind gewesen war – nach einem Sturz von einem Stuhl, als sie im Bergfried des Lords gerade eine Lampe hatte anzünden wollen. Averan hatte es nicht gesehen, sich aber nie recht damit abgefunden, daß man nach einem Sturz so leicht sterben konnte. Sie war selbst mehr als einmal aus einer Höhe von fünfzehn Fuß zu Boden gegangen, wenn ihr Reptil sie bei der Landung abgeworfen hatte – komisch, ihr war dabei nie etwas passiert.
    »Ich werde mich verstecken, das verspreche ich –
    vorausgesetzt, Verstecken ergibt einen Sinn«, versprach Brand.
    Sie musterte ihn, um zu sehen, ob er log. Allerdings war Averan immer schrecklich schlecht darin gewesen, hinter die Augen von anderen zu schauen. Was andere Menschen wirklich dachten, was sie meinten, kam ihr oft wie ein unergründliches Rätsel vor.
    Daher mußte sie sich damit zufriedengeben, daß Brand sich verstecken oder wegrennen oder auf andere Weise vor Raj Ahtens Männern fliehen würde.
    Er hatte sie angesehen, doch plötzlich richtete er den Blick auf etwas hinter ihr, und ihm stockte der Atem.
    Sie drehte sich um. Auf einem fernen Hügel, oben in der Schlucht, entdeckte sie sie plötzlich. Ihre ledrige Haut schimmerte blaßgrün im Morgenlicht, allerdings war auf diese Entfernung nicht zu erkennen, ob in ihre Haut Runen eintätowiert waren. Lediglich das Blinken der Klingen im Schein der Sonne war zu sehen und das Leuchten feuriger Stecken. Aus der Entfernung wirkten die sechsbeinigen Kreaturen bloß wie fremdartige Insekten, die unter einem Stein hervorkrochen. Averan wußte jedoch, daß jede einzelne dieser grausamen Bestien die dreifache Größe eines Mannes hatte.
    Hinter ihnen stob ein dunkle Wolke auf. Die Gree
    schwärmten in beängstigender Zahl aus. Gree waren kleiner als Fledermäuse, aber größer als Maikäfer. Manchmal krabbelten sie aus ihren Höhlen hervor. Averan hatte noch nie eine solche Menge zu Gesicht bekommen, die sogar den Himmel verdunkelte.
    »Los jetzt, sofort!« forderte Brand sie auf. Die Greifer würden keine zwei Stunden mehr bis hierher brauchen. Bei ihrem Tempo würde es in fünf Minuten auf den Mauern von ihnen nur so wimmeln.
    »Auf«, rief Averan.
    Der Graak drehte sich um und sprang von der Felskante.
    Averan verspürte ein Gefühl der Übelkeit, als die Echse nach unten sackte. Sie blickte vorbei an ihrem Hals auf das Gewirr aus Felsbrocken Hunderte von Fuß unter ihr.
    Für einen

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