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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Farland
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erklärenden und übermächtigen Drang. Ihre Nachricht für Paldane war wichtig, aber dieses Gefühl war noch viel überwältigender. Sie bebte am ganzen Körper vor Verlangen.
    Im Grunde wußte sie genau, wohin sie wollte. Sie schloß die Augen und rief sich die Karten in Erinnerung: Mitten in Heredon gelegen, sechshundert Meilen weiter nördlich, jenseits der Durkinberge. Burg Sylvarresta. Vor ihrem inneren Auge sah sie eine Art grünen, leuchtenden Edelstein.
    »Hast du Familie in Heredon?« fragte Baron Poll.
    »Nein«, gestand sie. »Eigentlich nicht.« Trotzdem mußte sie unbedingt dorthin. Sie wollte ihm noch mehr erzählen, ihm folgendes erzählen: Die Welt steht am Rande der Vernichtung, doch im Norden gibt es Leben, Sicherheit und Hoffnung.
    Leben gibt es dort – und nirgendwo anders.
    »Wieso bist du dann so entschlossen, dahin zu gehen?«
    wollte Roland wissen.
    Averan wußte, sie war klein und ein Kind, deshalb
    erwarteten andere, daß sie sich wie ein Kind benahm, daß sie zu Wutanfällen und Unvernunft neigte. Aber Averan war nicht wie andere Kinder, war nie so gewesen. Brand hatte gesagt, er habe sie unter all den anderen Waisenkindern in Mystarria ausgesucht, weil er, als er ihr in die Augen geschaut hatte, dort eine alte Frau gesehen habe. Sie hatte während ihres kurzen Lebens mehr erlebt als andere bis ins hohe Alter.
    »Weil das mein Ziel gewesen wäre«, log sie, »sobald ich Herzog Paldane die Nachricht überbracht hätte. Mein Meister Brand hat dort eine Schwester auf Burg Sylvarresta. Er hat gehofft, sie würde mich aufnehmen. Er hat mir einen Brief für sie mitgegeben und Geld für meinen Lebensunterhalt.« Sie ließ den Beutel an ihrem Gürtel klingeln.
    Roland bat nicht darum, sich den Brief anschauen zu dürfen.
    Mit Worten auf Papier war er ganz offensichtlich überfordert.
    Und Baron Poll war faul. Er wollte sich nicht damit abgeben, irgendwelche Briefe zu lesen. Averan hoffte, sie mit Geld ködern zu können.
    »Und was wird aus deinem Schätzchen hier?« fragte Baron Poll und deutete mit einem Nicken auf die grüne Frau. »Wird sie uns nachlaufen, was meinst du?«
    »Wir lassen sie hier«, erwiderte Averan, obwohl etwas in ihrem Innern sie davor warnte. Was, wenn Baron Poll recht hatte? Was, wenn eine der Mächte das Geschöpf für sie beschworen hatte? Es wäre Vergeudung, es zurückzulassen, vielleicht sogar gefährlich. Trotz alledem, Averan sah keine Möglichkeit, wie sie das Geschöpf mitnehmen konnten.
    Baron Poll überlegte, wurde nachdenklich. In einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete, erklärte er: »Wir können nicht riskieren, dich weit mitzunehmen. Ich werde dich irgendwo absetzen, wo du dich in Sicherheit befindest, nördlich von Carris, wenn du willst. Dort habe ich in einer kleinen Stadt eine Cousine. Sie könnte helfen, für dich ein Unterkommen dort zu finden.«
    Averan war den Umgang mit Lords gewöhnt. Sie handelten oft unüberlegt und mochten es gar nicht, wenn man sie des Irrtums bezichtigte. Baron Polls Tonfall verriet ihr, daß sie von ihm nichts Besseres zu erwarten hatte.
    Doch in ihrem Herzen gelobte sie: Wenn Ihr mich verlaßt, laufe ich Euch, wenn es sein muß, hinterher und folge Euch auf Schritt und Tritt.
    Averan rannte los und holte Rolands buntgeschecktes Füllen sowie Baron Polls schwarzbraunen Hengst, dann machten sie sich zum Aufbruch bereit. Die Sonne war fast untergegangen, doch noch immer war der Besitzer der Kate nicht nach Hause gekommen.
    Baron Poll pflückte ein paar Wildbirnen und Holzäpfel in dem kleinen Obstgarten, dann sammelte er schnell ein paar Pastinaken und Zwiebeln in den Beeten hinter der Kate zusammen. Vor dem Haus watschelten ein paar dürre Enten herum, die in den vergangenen acht Wochen geschlüpft waren.
    Averan fragte sich, wer hier wohl leben mochte – vielleicht ein alter Holzfäller, überlegte sie, denn der Obstgarten war zu klein, um auch nur einem Menschen den Lebensunterhalt zu sichern, und die Berge nach Süden hin waren bewaldet. Sie fragte sich, was er wohl denken würde, wenn er herausfand, daß sein Hund tot war, und neben ihm hinter seinem Haus ein toter Graak lag. Sie öffnete den Geldbeutel, den Brand ihr mitgegeben hatte, stellte fest, daß er nicht nur einige Münzen aus dem Norden enthielt, sondern auch einige goldene ›Tauschringe‹, wie sie von den Kaufleuten aus Indhopal verwendet wurden. Die Ringe wurden ebenso präzise
    ausgewogen wie jede Münze und wiesen eine Prägung mit den Symbolen

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