Schattenherz
keuchte vor Schmerzen.
Die grüne Frau nuckelte an seiner Wunde und entzog ihm leise schlürfend seine Lebenssäfte. Er stieß einen Schrei aus, kämpfte ums nackte Überleben und fürchtete gleichzeitig, sie könnte ihm in die Kehle beißen.
»Hilfe!« schrie Roland und sah sich nach Baron Poll um.
Doch der dicke Ritter hatte sich bloß zittrig wieder aufgerappelt und starrte seinen Gefährten in hilflosem Entsetzen an.
Bei den Mächten, dachte er. Zwanzig Jahre habe ich
geschlafen, und jetzt wache ich auf, nur um schon in der ersten Woche zu krepieren.
Plötzlich rannte das Kind zu Baron Poll, schnappte sich seine Axt und kam auf die beiden zugerannt. »Nein! Nein!« schrie Roland.
Das Mädchen senkte die Axtklinge auf die Frau herab, und man hörte ein dumpfes Scheppern.
Die grüne Frau hielt inne und lockerte ein wenig ihren Griff.
Die Frau starrte das Mädchen an. Sie schrie: »Nein! Nein!«
Dann ließ die grüne Frau ihn vollends los, und Roland war frei. Er suchte sich einen Weg durchs Gras, geriet jedoch ins Stolpern und fiel drei Schritte weiter hin.
Die grüne Frau beäugte ihn gierig.
»Nein!« wiederholte das Mädchen. »Nicht ihn.« Sie holte ein zweites Mal mit der Axt aus und traf die Frau am Schädel.
Die grüne Frau hockte auf der Erde. Sie hob den Kopf, sah das Kind an und äffte es nach: »Nein!«
Das Mädchen ließ die Axt fallen. Sie hatte der grünen Frau eine Scharte in die Haut geschlagen, gerade mal einen winzigen Krater. Dunkles Blut sickerte daraus hervor.
Das Kind streckte die Hand aus und streichelte der Frau über den Haaransatz. Die grüne Frau bog den Rücken durch, als sei ihr die Zuwendung angenehm.
»Wenn man ein gefährliches Tier abrichtet«, erklärte das Mädchen ruhig an Roland und Baron Poll gewandt, »muß man es für gutes Benehmen belohnen und für schlechtes bestrafen.«
Roland nickte. Natürlich kannte sich das Mädchen mit dem Abrichten von wilden Tieren aus. Sie war schließlich eine Himmelsgleiterin und mußte bestimmt die Graaks versorgen.
Roland war des Königs Metzger gewesen. Als Kind hatte es zu einer seiner ersten Aufgaben gehört, Knochen und Abfallbrocken zu den Hundehütten hinüberzuschleppen, wo Tiermeister Hamrickson die Kampfhunde des Königs abrichtete. Er glaubte zu wissen, was sie von ihm wollte.
Langsam, um zu verhindern, daß die grüne Frau auf ihn aufmerksam wurde, hinkte er unter Schmerzen zum toten Graak hinüber.
»Nein, das mache ich«, unterbrach ihn das Mädchen. »Ich will, daß sie mich für ihre Herrin hält.«
Sie rannte an ihm vorbei um die Echse herum. Mit leerem, schmerzgequältem Blick betrachtete sie das Reptil. Dann beugte sie sich vor und riß ihm den Hundekadaver aus dem Maul. Das war keine leichte Aufgabe. Der Wolfshund war ein riesiges Tier, das leicht hundert Pfund wog, trotzdem hatte das Kind keine Mühe, seinen leblosen Körper hochzuheben.
Ich bin ein Narr, dachte Roland. Das Mädchen war eine Himmelsgleiterin mit wenigstens einer Gabe der Muskelkraft.
Trotz ihrer geringen Größe ist sie stärker als ich. Ich habe sie retten wollen, statt dessen hat das Kind mich gerettet.
Sie schleppte den Hund herbei und legte ihn der grünen Frau zu Füßen. »Blut«, sagte sie leise. »Für dich.«
Die grüne Frau beschnupperte den Tierkadaver und begann, ihm das Blut vom Fell zu lecken. Als sie sich sicher zu fühlen schien, daß niemand ihr das Tier wegnehmen würde, fiel sie darüber her und schlug ihre Zähne in Hinterteil und Hüften.
»Braves Mädchen«, lobte das Kind. »Braves Mädchen. Und klug bist du auch«, setzte die Kleine hinzu. Sie zeigte auf sich.
»Averan. Averan.« Die grüne Frau sprach ihren Namen nach.
Sie deutete auf Roland, und der nannte ebenfalls seinen Namen. Und auch Baron Poll kam herbei und stellte sich vor.
Dann zeigte Averan auf die grüne Frau.
Die grüne Frau hörte auf zu fressen und starrte sie leeren Blickes an.
KAPITEL 10
Der Edelstein
T
ränen der Wut und des Schmerzes drohten Averan bei der Arbeit die Sicht zu rauben – Wut und Schmerz über den Anblick des toten Graak. Sie wollte nicht wie ein Kind erscheinen, wollte sich nicht wie eines aufführen. Doch gelang es ihr kaum, die Fassung zu wahren.
Also versuchte sie, nachdem sie sich einander vorgestellt hatten, sich damit abzulenken, Rolands Wunde zu versorgen, und bewegte sich benommen wie in einem Traum. Der Sturz der grünen Frau aus dem Himmel, der Schreck. Ledernacken tot zu sehen, die grausigen Geschehnisse
Weitere Kostenlose Bücher