Schatteninsel
Markus’ Zimmertür. Da kam Ina, in ein Handtuch gewickelt, aus dem Bad. Bei Jennis Anblick zuckte sie zusammen.
»Nanu«, sagte sie. »Ich dachte, du schläfst schon.«
»Ich wollte nur …«, begann Jenni, verstummte aber mitten im Satz, als die Tür zu Markus’ Zimmer aufgestoßen wurde.
Lisa stand auf der Schwelle. Ihr Blick war direkt auf Jenni gerichtet. Ein intensiver, mörderischer Blick.
»Alles in Ordnung?«, fragte Ina.
Lisa nickte.
»Ja.«
Ihr Blick blieb noch eine Weile auf Jenni ruhen, wanderte dann zu Ina. Lisa sah aus, als wollte sie etwas sagen, doch irgendetwas schien sie zu hindern. Sprich , dachte Jenni. All das kommt nur daher, dass niemand spricht .
»Schläft Markus?«, fragte Ina, die Lisas starrer Blick sichtlich nervös machte.
Stille. In der Luft schwebten heißer Wasserdampf und der Geruch von Duschseife.
»Noch nicht«, sagte Lisa schließlich und senkte den Blick, als hätte sie gemerkt, dass sie sich unpassend benahm. Sie ging in Markus’ Zimmer zurück und zog die Tür hinter sich zu.
Ina wischte sich das Wasser aus dem Gesicht.
»Was wolltest du gerade sagen?«, fragte sie. Jenni sah ihr an, dass Lisas Starren sie immer noch beunruhigte. Etwas Bedeutsames war gerade geschehen, und sie wussten es beide.
»Nichts. Reden wir morgen weiter.«
»Im Ernst«, sagte Ina. »Frag ruhig.«
Jenni schüttelte den Kopf und legte die Finger an ihre Schläfe.
»Ein langer Tag«, erklärte sie und ging nach oben.
Auf dem ganzen Weg dachte sie an Lisas Starren.
In der Nacht erwachte Jenni zweimal aus wirren Albträumen. Beim zweiten Mal wälzte sie sich wild auf der Matratze herum, fest davon überzeugt, dass jemand einSchweinsauge in ihr Bett gelegt hatte. Sie spürte es kalt und schleimig an den Zehen und Waden, als ob es sich von selbst bewegte.
Sie saß eine Weile auf dem Bettrand und versuchte, ihren Atem unter Kontrolle zu bringen, kämpfte gegen die Übelkeit an, die wie ein Stein auf ihrem Zwerchfall lag. Lisas Worte füllten ihren Kopf, wirbelten wild herum.
… aus Aaron und dem armen Mädchen wird …
Die Beinmuskeln zuckten und verkrampften sich schmerzhaft. Jenni beugte sich vor und massierte sie stöhnend, bis der Brechreiz sie zwang, sich wieder hinzulegen.
… wollt ihr mit dem …
Das Zimmer schien sich zu drehen wie damals, als sie sich zum ersten Mal betrunken hatte.
… krank …
Jenni wälzte sich, bis sie eine Position fand, in der die Übelkeit halbwegs erträglich war. Dann trug die Erschöpfung sie zurück in den Schlaf.
−
Aaron schüttelte den Menschen, die das ganze Haus füllten, die Hand. Auch Lisa war dort, höflich, lächelnd und entzückend wie früher. Aaron wusste, dass draußen im Wagen Markus wartete, den er an irgendeinen wichtigen Ort mitnehmen sollte. Danach wäre alles geklärt und sie brauchten sich nicht mehr zu begegnen. Welche Erleichterung.
Die Leute drückten ihm die Hand und wünschten ihm Glück, versicherten ihm, dass er bei der Wahl erfolgreich sein werde und ihn nichts mehr aufhalten könne, der Himmel sei die Grenze. Noch halb im Schlaf begriff Aaron,dass er Markus nie ermutigt hatte. Das würde er erledigen, sobald sie unterwegs waren. Während der Motor gleichmäßig surrte, würden sie beide sehen, dass der Weg bereitet war. Man musste nur Gas geben und fahren.
Aaron wandte sich von den Leuten ab und ging zur Haustür. Er drückte die Klinke hinunter, doch die Tür öffnete sich nicht. Seine Hand, die an der Klinke rüttelte, fühlte sich fremd an, als gehöre sie einem anderen.
You sick, sick man , flüsterte eine Stimme an seinem Ohr. Ein fremder Akzent, vielleicht griechisch. Aaron lachte auf und drehte sich um. Die Diele war leer, aber aus dem Spiegel blickte ihn jemand an, der nicht Aaron war. Sie betrachteten sich in wachsendem Entsetzen, Aaron und das Spiegelbild. Im Spiegel war nur ein Türspalt zu sehen, durch den blendend helles Licht fiel. Und in dem Türspalt ein einzelnes Auge. Es starrte ihn direkt an, obwohl es sich ganz und gar am falschen Platz befand.
Als Aaron im dunklen Zimmer erwachte, merkte er, dass er seine rechte Hand festhielt. Sie zuckte und verkrampfte sich, als wollte sie sich losreißen.
Aaron setzte sich erschrocken auf. Sein Arm schimmerte bleich im Zwielicht. Jenni und Miro schliefen, sie atmeten in unterschiedlichem Takt. Aaron stand auf und umklammerte seine Armmuskeln, versuchte sie zu lockern. Er ging im Zimmer hin und her und stöhnte hilflos. Die Muskeln spannten sich
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