Schatteninsel
eigensinnig, wurden unter seinen Fingern steinhart.
Das geht vorbei, redete Aaron sich gut zu. Keine Angst.
Doch es ging nicht vorbei. Die Krämpfe zogen über den Ellbogen hinauf bis in die Schultermuskeln.
Aaron stürzte aus dem Zimmer. Sein Gesichtsfeld wimmeltevon roten Punkten, als er auf die Tür am Ende des dunklen Flurs zustolperte. Die Krämpfe wurden heftiger.
Das Licht im Bad ging zuckend an. Bei jedem Aufflackern sah Aaron seine Hand. Die gekrümmten Finger, wie eine blasse Spinne. Und die schwarzen Flecken auf dem Handrücken und am Armgelenk. Er hielt sie für eine optische Täuschung, doch als das Licht schließlich gleichmäßig brannte, waren sie immer noch da.
Bei dem Anblick vergaß Aaron die Schmerzwellen. Er starrte auf die blauschwarzen Flecken, die sich bei jedem Krampf zu verändern schienen. Zu vergrößern. Blutergüsse, versicherte er sich selbst. Wahrscheinlich hatte er im Schlaf die krampfende Hand zu fest gepackt.
Der Gedanke tröstete ihn nicht, schützte ihn nicht vor der wachsenden Panik. Der Schultermuskel zuckte, als nähme irgendeine Kraft seinen ganzen Arm in ihren Besitz.
Aaron stürmte aus dem Bad und ging in das Schlafzimmer zurück, ohne zu wissen, was er tun sollte.
Jenni wecken? Nein, sie würde ihm nicht helfen können, sie war noch so jung. Für die Hilflosigkeit eines alten Mannes hätte sie nur Verachtung übrig. Er stellte sich vor, dass Lisa dort im Bett läge, und wusste, dass sie ihn beruhigen könnte, sie wüsste, was zu tun war. So schnell, wie seine unkontrollierbare Hand es zuließ, zog Aaron die Hose an. Er versuchte gar nicht erst, das Hemd zuzuknöpfen, sondern zog einfach die Jacke darüber. Jenni bewegte sich unruhig und redete im Schlaf. Aaron umklammerte seine Hand und verließ das Zimmer. Auf das Geländer gestützt ging er die Treppe hinunter und versuchte verwirrt, sich zu erinnern, wo Lisas Zimmer war.
Lisa würde ihm helfen können. Lisa war der einzige Mensch, der Aaron auch dann verstand, wenn er von Zweifeln gepackt wurde. Sie sah seine Schwäche und hatte keine Angst, ihr entgegenzutreten. Aaron stolperte zur Zimmertür und öffnete sie, ohne anzuklopfen. Er rief Lisas Namen und trat ans Bett, griff nach der Decke. Darunter war Leere. Aaron tastete über das kühle Laken und das Kissen.
Weg.
Er jammerte unwillkürlich auf. Alles stand vor dem Zusammenbruch, es gab keine Sicherheit. Aaron dachte an den Stadtrat, an die Wahl und den Ministerposten. Er war ein Erfolgsmensch, ein Zukunftsfaktor, kein Gefangener seiner eigenen Ängste in muffiger Dunkelheit. Man musste die Dinge im richtigen Verhältnis sehen, das hier hatte nichts zu bedeuten. Ein neuerlicher Krampf blockierte seine Gedanken. Sein Rückgrat zuckte so heftig nach hinten, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Er stolperte zurück, bis er mit dem Kopf an die Wand stieß.
Ein Zukunftsfaktor Aaron für die Zukunft der Partei bist du …
Endlich fand er die Haustür, stieß sie auf und trat hinaus in die kalte Nacht.
Die Wagen vor dem Haus waren schwarze Klumpen, auf denen das Mondlicht schimmerte. Aaron nahm den Schlüssel aus der Tasche und öffnete mit einem Knopfdruck die Tür. Die Scheinwerfer flammten auf und tauchten die Umgebung einen Augenblick lang in Helligkeit. Aaron tastete nach dem Griff und schob sich in den Wagen, steckte mit der Linken den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn. Nur ein Knacken war zu hören, sonst nichts. Aaron wiederholte die Bewegung fünfmal, dannbegann er Flüche und Verwünschungen gegen Markus, Lisa und Jenni auszustoßen. Dumme, unfähige Wesen, die jammernd und klagend am Wegrand zurückblieben, wenn Kämpfen und Weitergehen das einzig Vernünftige waren. Aaron legte die Stirn auf das Lenkrad und schlug sich mit der Faust auf den Oberarm.
Allmählich beruhigte sich sein Atem. Einen kühlen Kopf bewahren , dachte Aaron. Er hob den Schlüssel und versuchte es noch einmal. Das Zündschloss fand sich sofort. Der Motor sprang an. Das Geräusch wirkte beruhigend.
Aaron hob den Kopf und betrachtete die Leuchtanzeigen am Armaturenbrett. Uhrzeit. Außentemperatur. Navigator. Benzinstand. Alles in Ordnung.
Er holte das Handy aus der Brusttasche seiner Jacke und wählte Katajas Nummer. Das Klingelzeichen ertönte, immer wieder, doch er gab nicht auf, bis sich eine verschlafene Stimme meldete.
»Aaron hier«, sagte er. »Treffen wir uns morgen um drei?«
Am anderen Ende blieb es eine Weile still.
»Weißt du, wie spät es
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