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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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bildete sich das alles nur ein.
    Ensam med Gud , flüsterte sie.
    −
    Markus schwamm im warmen Wasser, obwohl er wusste, dass sich unter ihm ein weißes Laken, eine dicke Matratze, ein metallenes Bettgestell und der Fußboden befanden. Über sich sah er sein vibrierendes Spiegelbild, obwohl dort nur die Zimmerdecke war.
    Menschen kamen ins Zimmer. Bekannte und zugleich nicht identifizierbare Gesichter, Menschen, die begeistert redeten. Sie berichteten von Plänen, bei denen er offenbar eine Rolle spielte. Markus konnte ihnen nicht helfen, konnte keinen Part in irgendeinem Stück übernehmen. Er lag im warmen Wasser, spürte die Strömung.
    Markus schloss die Augen. Das Wasser veränderte sich. Es wogte stärker. Der Salzgeschmack war modriger und so intensiv, dass der Atem jedes Mal stockte, wenn das Wasser in den Mund oder die Nase drang.
    Nachdem er seinen Vater und Jenni in der Umkleidekabinegesehen hatte, war Markus ins Meer gelaufen und hatte beschlossen, sich von den Wellen davontragen zu lassen.
    Er wollte keine Erde mehr unter den Füßen spüren, denn auf der Erde war alles falsch. Wohin er auch blickte, sah er nur Dinge, die so falsch waren, dass er am liebsten alles in Stücke gerissen hätte, wenn er nur die Kraft dazu gehabt hätte. Wenn er kein magerer, vom Hautausschlag gezeichneter Junge gewesen wäre, der es nicht einmal schaffte, das Tretboot am Ufer zu wenden, ohne seinen Vater um Hilfe zu bitten. Ohne dass der Schatten seines Vaters seine Haut berührte und ihn in einen kalten, betäubten Zustand versetzte, in dem alles gleichgültig war. Warum fiel der Schatten seines Vaters immer nach vorn? Warum folgte er ihm nicht, wie bei allen anderen Menschen? Jennis Schatten war immer hinter ihr. Dahin konnte er die Augen wenden, wenn ihr Anblick den Drang weckte, an ihrem Hals und ihren Wangen zu schnuppern.
    Bevor er sich ins Meer warf, hatte Markus mit dem griechischen Strandwächter gesprochen, der immer mit ihren Eltern plauderte. Markus war ohne Badeschuhe über den glühend heißen Sand gelaufen und hatte den Mann angesprochen. Der war stehen geblieben und hatte gegrüßt, obwohl er sich wahrscheinlich nicht an Markus erinnerte. Seine Aufmerksamkeit hatte immer ganz allein den Erwachsenen gegolten, nur einmal hatte er Ina gelobt, als sie ein perfektes Rad schlug, wobei allerdings Sand auf Markus’ und Jennis Badetücher fiel.
    »My father«, sagte Markus zu dem Strandwächter.
    »Yes«, erwiderte der Mann, obwohl er Markus vielleicht immer noch nicht erkannt hatte.
    »He fucks me.«
    Das Lächeln des Mannes wurde nur unmerklich dünner.Er legte den Kopf schräg, als bäte er Markus, seine Worte zu wiederholen. Und das tat er.
    »My father fucks me. Every day. Do you understand?«
    Der Mann sah sich um und rieb sich die Nase.
    »Do you believe me?«
    »Okay«, antwortete der Mann. »Have a nice day.«
    Er ging mit schnellen Schritten davon, als wäre nichts geschehen. Vergewisserte sich, dass für alle Strandliegen und Sonnenschirme Gebühr bezahlt worden war. Dass nirgendwo etwas Falsches getan wurde. Markus ertrug es nicht, dass er fortging. Der Mann war immer so nett gewesen, hatte sich Mutters erbärmliches Englisch angehört, obwohl alle wussten, wie schrecklich es klang.
    »I lied«, sagte Markus leise und ging ins Wasser. »He hates me.«
    Er wiederholte den Satz langsam, überlegte, ob er grammatikalisch richtig war, wie nach der Klassenarbeit in Englisch, wenn er in Gedanken seine Antworten durchging und sich zu erinnern versuchte, ob er irgendeine Frage falsch beantwortet hatte.
    »Jenni hates me«, sagte er noch, dann zwang ihn das Salzwasser, den Mund zu schließen. Er drehte sich auf den Rücken und betrachtete den wolkenlosen Himmel.
    Die Zeit verschwand. Keine Form mehr, keine Schatten. Der Friede des Himmels und der Meeresströmungen. Markus hatte das Gefühl, dass er gar kein Mensch war, sondern Laichkraut, Hahnenfuß, ein Schiffswrack. Im klaren unendlichen Wasser.
    Obwohl das Leben später Tausende von Gesichtern, Stimmen, Träumen und Enttäuschungen gebracht hatte, war im Hintergrund immer die Erinnerung an diesen Momentgeblieben, wie ein nicht abbrechender Ton unterhalb der Hörgrenze. Das Versprechen, dass es einen Ort außerhalb der Zeit gab. Einen Ort, wohin der leere Blick seines Vaters nicht reichte und wo keine Katzenmütter ihre zermalmten Jungen ableckten.
    Kein aufkeimender Betrug in Jennis Lächeln. Nur Laichkraut. Ein Schiffswrack auf dem Grund.
    −
    Jenni glaubte,

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