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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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Illusion, dass die Lichtquelle unter dem Wasser sich bewegte. Doch Jenni wusste, dass die Fische reglos verharrten. Dass sie sie bemerkt hatten. Sie trat einen Schritt zurück. Auf dem feuchten Stein rutschte ihr Schuh ab. Jenni fiel rücklings auf den Felsen. Aus ihrer Lunge entwich die Luft, ihre Zähne gruben sich in die Zunge. Sie glitt auf das Wasser zu, obwohl sie versuchte, sich festzuhalten. Als sie in der Gischt watete, sah sie, dass der Schein sich wieder bewegte. Sie schrie auf und kroch an Land, die nassen Schuhe rutschten auf den Steinen, der glatte Fels bot keinen Halt. Jenni schob sich hinauf, drehte sich zweimal um sich selbst, bis sie so weitvom Wasser entfernt war, dass sie wagte aufzustehen. Sie sah sich nicht um, sondern lief auf den Waldrand zu, bis sie merkte, dass sie vor der kleinen Kapelle stand. Jenni starrte schwer atmend auf das Gebäude, weigerte sich, noch einmal auf das glühende Meer zu blicken. Sie hatte die Übelkeit nicht einmal bemerkt, bis sie sich plötzlich wild erbrach. Es war, als ob sich alle Muskeln gleichzeitig verkrampften und den Körper zwängen, sich vorzubeugen. Jenni ging in die Hocke, stützte sich mit der Hand auf die Erde und setzte sich hin. Ihr Atem klang wie der eines im Schädel gefangenen Tiers.
    Der Schmerz. Jenni wurde plötzlich bewusst, dass sie ihn schon länger an den Fingern gespürt hatte, doch im Adrenalinsturm war er nur ein belangloses Hintergrundrauschen gewesen. Sie hob die Hände vors Gesicht. Im roten Zwielicht sahen sie fremd aus. Sie fühlten sich fremd an.
    Der kleine Finger und der Ringfinger der linken Hand waren seltsam verkrümmt, als wären sie im Begriff, sich in Klauen oder Zähne zu verwandeln. Jenni versuchte sie zu strecken, doch dadurch wurde der Schmerz nur noch stärker. Ihr linker Arm war vom Ellbogen bis zur Hand hart, der Muskel aufs Äußerste gespannt.
    Was ist das? , fragte Jenni sich. Was für eine Strafe ist das?
    Sie sah sich um und rief erneut nach Miro. Wie zur Antwort veränderte die Brandung ihren Rhythmus.
    Jenni betrachtete die Kapelle. Das Gebetsgrab.
    Sie stand auf und wischte sich das Kinn ab.
    Die Tür zur Kapelle stand auf. Jenni wusste nicht, ob sie gerade noch geschlossen gewesen war. Das spielte keine Rolle, denn jetzt war sie offen. Sie hing ein wenig schief in den Angeln. Die Stummheit des Gebäudes neben dembrausenden Wald und dem rauschenden Meer wirkte gewollt, absichtlich. In der Dunkelheit flackerte ein schwaches Licht auf. Für einen flüchtigen Moment war eine menschliche Gestalt zu sehen.
    Jenni zwang sich näher heran. Sie berührte die schartige Tür, stieß sie ganz auf und steckte den Kopf in die nach einem Erdkeller riechende Dunkelheit.
    »Miro?«
    Das Licht wurde eine Spur heller, einige Sekunden lang, und Jenni sah die Gestalt einer Frau, deren Haare sich bewegten wie in strömendem Wasser. Am liebsten wäre Jenni davongelaufen, aber die Frau konnte nicht zufällig in der Kapelle sein. Sie schrie:
    »Wohin habt ihr mein Kind gebracht?«
    Als keine Antwort kam, trat Jenni über die Schwelle und rannte auf die Frau zu. Die Dunkelheit legte sich um sie wie eine Flüssigkeit. Sie füllte die Augen und ließ den Atem anders klingen, schwerer. Jennis Finger berührten etwas Kaltes, Glattes. Da, wo die Frauengestalt gewesen war, spürte sie nur Glas.
    Ein Spiegel.
    Jenni drehte sich um und sah, wie sich die Tür schloss. Einen Augenblick lang klammerte sie sich an die Hoffnung, dass der Wind die Tür zuschlagen ließ, obwohl sie sah, dass die Bewegung zu schnell, zu entschlossen war.
    Ein dumpfes Poltern. Noch einmal und noch einmal.
    Jenni wollte gegen die Tür anrennen, doch sie erriet, dass der Versuch sinnlos wäre. Sie schob sich an der Wand entlang, tastete die kalte Glasfläche ab, die sich an der nächsten Wand fortsetzte, nur durch einen dünnen Holzrahmen in der Ecke unterbrochen. Jenni blickte in den Spiegel, wünschte sich verzweifelt, ihr Gesicht zu sehen.Als sie die Tür erreichte, rief sie zuerst nach Miro, dann nur noch um Hilfe, doch niemand antwortete.
    Sie zog sich in die Mitte des Raums zurück und lauschte.
    Um sie herum bewegte sich etwas. Das wirkliche oder eingebildete Rascheln zog Kreise und brach sofort ab, wenn sie sich ihm zuwandte. Bald gewöhnten sich ihre Augen so weit an die Dunkelheit, dass sie ihre gekrümmte Gestalt im Spiegel erkennen konnte. Ein schwarzer Klumpen inmitten des etwas blasseren Dunkels. Dahinter standen andere.
    Oder es war stockdunkel und sie

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