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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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in der Mitte der Kapelle zu stehen, von jedem Spiegel gleich weit entfernt. Ganz sicher war sie sich dessen jedoch nicht. Auch das Zeitgefühl war ihr abhandengekommen. Sie rief ab und zu um Hilfe, doch ihr Ruf löste jedes Mal ein leises Rauschen aus, als hätte die Dunkelheit auf ihre Worte reagiert, sich bewegt und Witterung aufgenommen. Bald wagte Jenni keinen Laut mehr von sich zu geben. Sie atmete flach und ging in die Hocke, setzte sich hin und tastete den Boden ab.
    In der rauen Holzfläche war eine Öffnung. Jenni führte den Finger an ihrem Rand entlang und begriff, dass sie nur durch Zufall davor bewahrt worden war hineinzufallen, als sie in die Kapelle gerannt war. Sie wagte nicht, die Hand in das Loch zu stecken, obwohl sie gern gewusst hätte, wie tief es war. Vorsichtig beugte sie sich über die Öffnung. Die Bewegung des Wassers war deutlich zu hören. Als sie direkt nach unten sah, füllte sich ihr Gesichtsfeld mit roten Lichtstreifen. Sie tauchten blitzschnell auf und blieben auf der Netzhaut zurück, als Jenni den Blick abwandte. Vielleicht waren die Streifen eine optische Täuschung, aber dass die Wellen irgendwie unter die Kapelle gelangten, stand mit Sicherheit fest. Ihr hohles Platschen unterbrachdie Stille in regelmäßigen Abständen. Jenni stand auf und trat einige Schritte zurück, mit höchster Konzentration, um nicht zu vergessen, wo sich die Öffnung befand.
    Etwas streifte sie an der Schulter.
    Jenni schrie auf und wollte schon nach vorn rennen, doch das Wissen um die Gefahr, in das Loch zu stürzen, nagelte ihre Beine fest. Sie legte die verkrampfte Hand an die Brust und redete sich ein, dass außer ihr niemand in der Kapelle war. Durch den Türspalt fiel Licht. Zuerst hielt Jenni auch das für eine Halluzination, aber dafür war der Streifen viel zu deutlich und unbeweglich. Ein schmaler, langer Lichtstreifen.
    War schon Morgen? Woher wusste man in völliger Dunkelheit, wie viel Zeit verstrichen war? Woher wusste man, ob man wach war oder träumte? Auch der Geruch hatte sich verändert. Statt nach feuchtem Moder roch es nun nach kaltem Sand.
    Wieder spürte Jenni eine Berührung an der Schulter. Diesmal kein flüchtiges Streifen, sondern einen festen entschlossenen Druck.
    Sie hielt den Atem an und behielt das Licht an der Tür im Blick. In der zunehmenden Helligkeit sah sie, wie sich vor ihr etwas ausstreckte. Zuerst glaubte sie, es wäre ihre eigene Hand, doch die konnte es nicht sein. Eine große blasse Handfläche. Darauf lag eine winzige Puppe. Wie ein hilfloses Mädchen in der Hand Gottes. Die Augen der Puppe waren im Zwielicht nicht zu erkennen. Ihr Rock war hochgeschoben, der geschlechtslose Unterleib schamlos entblößt.
    Jenni betrachtete die Puppe, denn sie wusste, dass sie gleich verschwinden würde. Dass sie nicht hier sein konnte.
    Von links streckte sich eine zweite Hand vor. Eine Fingerspitzelegte sich unter die Ferse der Puppe und schob das Bein langsam und vorsichtig hoch. Dann das zweite. Jenni betrachtete die Puppe, versuchte sich ihren leeren Blick vorzustellen, da, wo jetzt nur zwei dunkle Höhlen waren. Zwei Finger packten das linke Bein der Puppe und drehten daran, bis das Hüftgelenk heraussprang.
    »Idiot«, flüsterte Jenni und ließ zu, dass sich die Hand des Mannes auf ihre Brust legte.
    Vor ihr erwachte ein helles Licht und fiel auf die Augen der Puppe, die sie ansahen, blau, glänzend, merkwürdig. Jenni blickte auf und sah die blendend helle Form der Tür vor sich. Mitten darin stand jemand.
    »Aaron?«, fragte Jenni.
    Die Gestalt trat ein. Streckte den Arm aus.
    Jenni blinzelte und wich zurück. Aus den Augenwinkeln sah sie sich in den Spiegeln, eine rückwärts gehende Gestalt, die sich fürchtete und hoffte, in den Armen des Mannes mit der Puppe Zuflucht zu finden, aber an kaltes unebenes Glas stieß.

D er Zwischenfall mit den rotäugigen Fischen wandte das Schicksal der Männer nicht zum Schlechten.
    Der Regen füllte ihre Trinkwasservorräte auf, und es gelang ihnen sogar, eine verwundete Robbe zu erbeuten. Die Gesichter der Männer waren vor Freude gerötet, als das erschlagene Tier zwischen ihnen auf dem felsigen Boden lag. Die Fischer jauchzten und priesen Jakob. Er sei ein heiliger Mann, der ihnen mehr gegeben habe, als sie je zu hoffen wagten.
    Einer der Fischer versuchte zur Nachbarinsel zu waten. Die anderen riefen ihm nach, er solle das Boot nehmen. Das stachelte den Mann erst recht an zu beweisen, dass man den Weg zu Fuß zurücklegen

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