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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marko Hautala
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beschleunigte wieder. Der Schlag gegen die Windschutzscheibe hallte als ständiges Zittern in ihren Gliedern nach. Ihr Atem ging flach und schnell. Jenni beugte sich vor, um bessere Sicht zu haben.
    Da sah sie den Elch.
    Zumindest glaubte sie ihn zu sehen. Ein schwarzer Schatten, der unmittelbar vor ihnen über die Straße strich. Jenni riss das Lenkrad nach rechts und dachte an Markus’ Unfall, war plötzlich überzeugt, dass Miros Aufschrei am Tag ihrer Ankunft ein Omen gewesen war, das ihnen prophezeit hatte, wie sie sterben würden. Dann sackte der Bug des Wagens nach unten, und Jenni konnte nur noch den Arm zwischen Miros Kopf und das Armaturenbrett schieben. Die Scheinwerfer erloschen, als der Wagen aufkrachte.Jennis Kopf prallte vom Airbag ab und schlug gegen das Seitenfenster.
    Von weit her hörte sie Miros Stimme.
    Oho .
    Sie wollte die Hand heben, um den Jungen zu berühren, doch ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.
    Mutti, was machen wir jetzt?
    Jenni versuchte zu antworten, doch die Dunkelheit war stärker. Die Finsternis war eine Welle, die sie von Miro fortriss und sie versenkte.

V
ERWECKUNGEN

J enni war eine Puppe.
    Sie lag im kalten Schlamm und blickte nach oben. Das Licht schwankte in weiter Ferne, auf der Wasserfläche, wo die Sonne deutlich umgrenzt und rund war. Von hier aus betrachtet, verschwamm sie zu einem schönen lebendigen Flimmern, dessen Wärme nicht in das kühle Zwielicht vordrang, in dem Jenni ruhte.
    Verdammte beschissene Kacke, ich schlag …
    Miros Stimme kam von weit her. Jenni wollte ihm sagen, er dürfe nicht fluchen, doch sie hatte keine Kraft. Sie betrachtete nur das Licht, das nun stärker wurde. Kopf, Rücken und Gliedmaße lösten sich aus dem Schlamm. Eine unsichtbare Kraft hob sie in die Helligkeit.
    Miro, Liebling …
    Inas Stimme. Sie trieb Jenni dazu an, immer schneller zum Licht aufzusteigen. Der Schmerz an ihren Schläfen, in Armen und Beinen wurde heftiger. Jenni sog Wasser in die Lunge, atmete schwer und würgend. Ihr Blick wurde klarer. Eine brennende Kerze. Nicht die Sonne, sondern eine Flamme, die unruhig brannte. Langsam erschien um sie herum ein Zimmer. Ein Tisch, ein Fenster, das Meer. In der Fensterscheibe spiegelte sich eine Bewegung.
    »Ganz ruhig, Miro … Alles ist in Ordnung …«
    Wieder Inas Stimme. Miro schluchzte, schrie aber nichtmehr. Jenni schmatzte mit den Lippen und sah sich um. Sie stellte fest, dass sie in einem Polstersessel saß. Ihre Hände hingen von den Armlehnen herab. Die Beine waren lang ausgestreckt und gespreizt. Es musste obszön aussehen. Jenni zwang sich, die Knie zu schließen. Ihr Nacken schmerzte heftig, als sie den Kopf drehte. Ihr Blickfeld war irgendwie eingeschränkt. Auf dem linken Auge lag etwas. Jenni hob die Hand und berührte die geschwollene, gefühllose Augenbraue und das Lid. Sie hatte Blut an den Fingern, das in die Gelenkfalten und auf die Handfläche lief. Jenni wandte den Blick von ihren Fingern zu den Menschen, die im Zimmer standen.
    »Jenni«, sagte Ina leise. »Wie geht’s?«
    Eine Teetasse erschien vor Jennis Gesicht. Sie schüttelte langsam den Kopf, doch Ina gab nicht nach, bis sie trank. Der bittere Geschmack ließ sie sofort bereuen, auch nur einen Schluck zu sich genommen zu haben.
    Ina ging weg, kehrte aber bald zurück. Jenni hatte nicht die Kraft, ihr ins Gesicht zu blicken.
    »Wo ist Miro?«, fragte sie.
    Offenbar hatte Ina ihre Worte nicht verstanden, denn sie beugte sich ganz dicht an Jennis Mund.
    »Miro …«
    »Es geht ihm gut. Nur ein kleiner blauer Fleck.«
    »Wo ist er?«
    Ina richtete sich auf und wandte sich ab.
    »Sag mal was zu Mutti«, bat sie Miro.
    Er sagte nichts, aber Jenni erkannte sein Schluchzen. Sie streckte die linke Hand nach ihm aus.
    »Alles ist gut«, sagte sie, obwohl sie bezweifelte, dass ihre Stimme zu hören war. Sie hätte nicht von dem Tee trinken sollen. Er machte sie nur noch benommener.
    Ina kniete vor ihr, fasste sie an der Hand.
    »Jenni«, seufzte sie. »Wir müssen etwas besprechen.«
    Tatsächlich , versuchte Jenni zu sagen, doch ihre Zunge und ihre Lippen waren wie Knetgummi, wie die dunkelgrüne Masse, aus der Ina und sie als Kinder Schlösser und Prinzessinnen geformt hatten. Das Schlimmste war, dass ihre Gedanken wild durcheinanderliefen und sie so viel zu sagen hatte, aber die Hände und die Füße und der Mund Knetgummi waren.
    »Ich konnte es dir nicht sofort erzählen. Du weißt nicht alles über Markus. Der Grund, weshalb er auf diese Insel kam,

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