Schattenjagd
während Rourkes Gesicht sogar noch roter war als sonst. Er fing tatsächlich an zu stottern, und ich fühlte ein ganzes Meer von nicht besonders netter Genugtuung.
Während der drahtige Körper des Jungen unter mir zappelte, beugte ich mich zu ihm runter. „Ich kann dir helfen“, flüsterte ich ihm ins Ohr. „Ich kann dir helfen, dich von den Sorrow zu befreien, und dir deine Seele wiedergeben. Du weißt, dass ich das kann. Arbeite mit mir zusammen.“
Doch er wehrte sich noch immer genauso heftig, wenn nicht sogar noch mehr, wälzte sich vor und zurück und brabbelte auf Alt-Chaldäisch wie eine Schlange.
Zum Versuch, einen Sorrow zu befreien, gehört mehr Glück als Verstand. Wir Jäger machen ihnen das Angebot immer, aber kaum einer der Scheißer geht darauf ein. Die Mütter und Zauberschlampen bieten ihnen genau das, worauf sie abfahren, einen Batzen Macht ohne die geringste Verantwortung – die Jungs sind Drohnen, die in die Häuser hineingeboren werden und dazu erzogen werden, nichts anderes als hirnloses Fleisch zu sein.
Schließlich verehren die Sorrow die Großen Alten. Und diese Götter fordern – wie alle Götter – Herzblut. Der Unterschied ist nur, dass die Großen Alten ihr Bordeauxrot wortwörtlich verlangen, in Zeremonien, und zwar eimerweise.
Saul ließ die Hände sinken, spannte sie an und packte zu. Auf der Stelle wurde es leichter, den Jungen zu halten. Gemeinsam drehten wir ihn auf den Rücken, ich hielt seine Hüften, während Saul sich um den Oberkörper kümmerte. Die Augen des Wers glühten in grellem, bernsteinfarbenem Licht, er war außer sich. Während Saul eins der dürren Handgelenke mit dem Knie nach unten drückte, schob er dem Kleinen eine lange Kordel aus geflochtenem Leder in den Mund. „Das war’s dann mit dem Giftzahn“, grummelte er. „Jill?“
„Mir geht’s gut.“ Ich spuckte etwas Blut aus, der Grünschnabel hatte mir ordentlich eine verpasst. Zum Glück halten meine Zähne einiges aus. Manchmal ist Zauberei tatsächlich zu was nutze. „Halt ihn fest.“ Wo ist dieses Mal … muss das Mal finden … muss es finden! … Was macht ein Sorrow ausgerechnet hier?
Das Rückgrat des Jungen knackte, und er verdrehte die Augen. Er murmelte vor sich hin, und ich fragte mich, was er als Nächstes ausheckte. Verflucht noch mal, dabei ist er geknebelt. Himmel! Ich zerriss sein Hemd und fuhr mit der Hand über die schmale, haarlose Brust. Das Kribbeln blieb aus. Wo war dieses Mal?
„Julian?“ Pater Guillermo stand nahe der Tür. Er hörte sich entgeistert an.
„Sie Hexe, das ist einer unsrer Jungs!“ Rourke hatte es immer noch nicht kapiert.
Über die Schulter warf ich ihm einen prüfenden Blick zu. „Ein Austauschschüler aus einem anderen Bundesstaat? Euer Junge liegt irgendwo im Graben verscharrt, Pater. Das hier ist ein Sorrow. Auch wenn es offenbar noch kein ausgewachsenes Exemplar ist, sondern nur eine kleine Baby-Viper.“ Sonst hätte er versucht, mir den Kehlkopf zu zertrümmern, statt mich nur in den Bauch zu boxen. Mit einem schnellen Ruck zog ich ihm die Hosen runter, wobei der Knopf absprang und der Reißverschluss sich verhakte. „Ihr solltet lieber draußen warten, nur für den Fall, dass er den Knebel durchbeißt.“ Blut tropfte mir ins rechte Auge, das ich wütend wegblinzelte. „Möchte zu gern wissen, was die Sorrow so an dem Seminar hier interessiert. Aber wenn ich das Mal gefunden habe, finden wir auch das raus.“
Dann landete ich einen Treffer. Es war auf seinem rechten Oberschenkel: drei ineinander verwobene blaue Kreise, auf deren Schnittstelle das Siegel der Schwarzen Flamme zu sehen war. Er war keine männliche Drohne, die nur als Opferlamm oder als Freudensklave diente, er war ein junger Krieger. Von allen Rängen, die ein Mann innerhalb eines Hauses einnehmen konnte, hatten die Krieger vermutlich das kürzeste Leben – aber wenigstens wurden sie nicht angebunden und geschlachtet, um die Alten zu füttern. „Bingo“, murmelte ich und streckte die Hand aus. Im nächsten Moment landete der schwere Knochengriff von Sauls Buschmesser darin.
Hinter seinem Knebel fing der Sorrow an zu zischeln und zu gurgeln. Saul griff nach dem Kinn des Jungen und riss es hoch, entblößte seine Kehle und stellte sicher, dass er seine Schultern nicht mehr bewegen konnte.
Als ich die Klinge flach gegen das Mal legte, schrie das Kind auf, was trotz der Lederkordel deutlich zu hören war. Das war eine der ältesten Feindschaften in der Geschichte der
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