Schattenjagd
einige Fragen stellen.“
„Was für Fragen?“
„Wer-Fragen. Pass auf, wo du hinfährst.“
„Hey, wage es nicht, an meinem Fahrstil rumzunörgeln.“ An der Seventh bog ich rechts ab und fuhr Richtung Innenstadt. „Jetzt rück schon raus mit der Sprache, Saul.“
„Ich will mich nur wegen diesem geknoteten Lederriemen umhören, sonst nichts. Es kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann’s nicht einordnen.“
„Ist die Pfeilspitze echt?“
„Kluges Kind! Ja, ich glaub schon.“ Er rutschte auf seinem Sitz herum, und ich hörte, wie Leder über die roten Fellbezüge rieb. Dann kurbelte er das Fenster ein Stück nach unten und steckte sich mithilfe des Zippos mit dem Wolfskopf die letzte Charvil der Packung aus seiner Brusttasche an. Ich griff nach unten und zog den Aschenbecher auf.
„Was ist mit dem Haar in den Riemen?“
„Menschenhaar.“ In seiner Stimme schwang Abscheu.
„Himmel.“ Ich schaltete in den Vierten, und als ich wieder Gas gab, quietschten die Reifen ein bisschen. „Hilf mir auf die Sprünge, Saul.“
„Glaub mir, das würde ich gern. Aber ich kann nichts Genaues damit anfangen, auch wenn dieses Knotenmuster vertraut aussieht. Dabei stellen sich mir die Nackenhaare auf.“
Dir auch? „Ist wohl Instinkt.“
„Und man sollte darauf hören.“
„Tu ich.“ Ich hab einen Mordsrespekt vor dem Instinkt eines Wers. „Na schön.“
Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, dass ich so einfach nachgeben würde. „Also bleibst du dort?“
„Ja, Saul. Wenn dir das so wichtig ist, halte ich es mit Perikles aus. Tu, was du tun musst, und lass mich um Himmels willen nicht zu lange warten, hörst du! Ich nehme an, du brauchst meinen Wagen?“
„Ich leere auch den Aschenbecher aus!“ Er inhalierte und hauchte eine Rauchwolke aus, die nach Kirsche roch. Seine Unzufriedenheit vermischte sich mit meiner und ergab eine anhaltende Spannung zwischen uns. „Und ich werde vorsichtig mit der Gangschaltung umgehen. Fahren wir jetzt ins Krankenhaus?“
„Ich will nach Pater Rosas sehen. Irgendwie macht mich die Vorstellung von einem Chaldäer, der es auf das Artefakt eines katholischen Priesterseminars abgesehen hat, nicht sonderlich froh. Obendrein ein Artefakt, von dem ich – und Hutch – noch nie im Leben gehört haben!“ Ich hielt inne, setzte den linken Blinker und bog in die Pelizada Avenue ein. Und anschließend werden wir diesen Doktor aus der Quincoa aufsuchen.
Saul zog noch einmal an seiner Kirschzigarette und pustete den Rauch aus dem Fenster. „Die katholischen Riten bieten Schutz gegen chaldäische Zauberei und Besessenheit. Dieses Vogelmonster hätte sich alleine nie aus der Kapelle befreien können.“
Wenn da mal nicht jemand die Schulbank gedrückt hat, du ungezogener Junge. Meine Handgelenke zitterten, entlang meines Ellbogens fühlte ich ein Beben, das ich einfach ignorierte. „Katholische Immunität gibt es erst seit dem sechzehnten Jahrhundert, als sich die Jesuiten und ihr Schattenkommando gegründet haben. Im Jahre 1534 hat Loyola die Gesellschaft ins Leben gerufen und 1536 das Schattenkommando mittels einer geheimen Urkunde geschaffen. 1588 bekamen die Sorrow den Druck das erste Mal zu spüren, als ihr Haus in Seville ausgeräumt und niedergebrannt wurde. Das war auf den Befehl von Juan de Alatriste hin.“ Mir war klar, dass ich schwafelte, aber ich konnte nichts dagegen machen. „Und anschließend ging Alatriste gegen die Scurf in Grenada vor, die …“
„Hol mal Luft, Jill.“
Ich atmete tief ein. Beinahe hörte man meine Knöchel knacken, so fest umklammerten meine Hände das Lenkrad. „Das Einzige, was noch schlimmer ist, als dorthin zu gehen, ist die Angst davor.“
„Damit spielt er.“
„Und du willst, dass ich länger bleibe, wenn er erst mal mit mir fertig ist.“ Du hasst ihn. Als du mich kennengelernt hast, ist dir als Erstes aufgefallen, dass ich nach Höllenbrut stinke, weshalb du auch mich so sehr gehasst hast, wie ein Werwesen überhaupt zu hassen imstande ist. Glaube ich.
Sein Schweigen war mir Antwort genug. Wieder zog er an seiner Zigarette. Durch das geöffnete Fenster drang trockene, kalte Luft.
Mein Herz zog sich krampfhaft zusammen. Mir war noch immer nicht klar, warum Saul seine Meinung über mich geändert hatte. Es war mir ein Rätsel, was er davon hatte, bei mir zu bleiben. Mein ganzes Leben lang war ich nur dem Tod entgangen, indem ich die Beweggründe aller kannte, die um mich waren, vor allem derer, die
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