Schattenjagd
offen stand.
Wahrscheinlich das Zimmer von Pater Rosas.
Innerhalb eines Herzschlags hatte ich meine Pistolen aus dem Gürtel gezogen. Hielt sie auf Hüfthöhe und warf Saul einen Blick zu. Trotz seiner dunklen Haut waren seine Wangen blass.
„Pass auf Gui auf“, flüsterte ich. „Wenn er anfängt, sich wie ein Besessener aufzuführen, geh einfach einen Schritt zurück und behalte ihn im Auge, okay?“
„Klar.“ Er wusste, wie es ablief. „Machst du ne Sorrow kalt, Baby?“
So viele, wie ich in diesem Leben erwischen kann. „Darauf kannst du Gift nehmen.“ Dann rannte ich den Gang hinunter.
Während der Ausbildung bringt dir keiner bei, dass die Welt sich mit jedem Schritt langsamer dreht, wenn man kurz vor einem Kampf steht. Jeder einzelne Atemzug dauert eine Ewigkeit. Deine Handflächen fangen an zu schwitzen, dein Herz pocht laut und schnell und deine Nackenhaare würden sich am liebsten steil aufstellen.
Unterm Strich ein Heidenspaß.
Pater Gui stierte noch immer geradeaus. Er bewegte sich keinen Fingerbreit, und ich fühlte in ihm keine Spur von Dämon. Die wirren schwarzen Locken klebten an seinem Kopf, und seine halb geschlossenen Augen waren glasig. Er war eingehüllt in die eigentümlich rauchige Aura eines Hypnosezaubers, und ich stieß innerlich einen Fluch aus. Herauszufinden, ob die Sorrow ihm irgendetwas eingepflanzt hatten, würde im besten Fall unangenehm werden.
Ich trat die Tür mit einem Fuß auf, während ich Gui ganz genau im Auge behielt. Sollte er sich auf einmal mit der gruseligen Schnelligkeit der Besessenen bewegen, würde die Angelegenheit richtig schnell richtig hässlich werden.
Von meiner Position aus erhaschte ich einen Blick ins Krankenzimmer, sah einen hellblauen Vorhang, der das Bett verdeckte, und die Tür zu dem kleinen Badezimmer, die ein wenig offen stand. Himmel. Entscheide dich. Meinst du, eine Sorrow versteckt sich eher im Klo oder hinter dem Vorhang? Vielleicht steht sie auch neben Vater Rosas Bett und hält ihm ein Messer an die Halsschlagader. Eine Geisel zu nehmen und sie anschließend ohnehin zu töten, sähe einer Sorrow ähnlich.
Ich stockte. Hinter dem blauen Stoff ertönte das Fiepen eines Herzüberwachungsgerätes, das schrill die Pulsschläge mitzählte. Das Zimmer war erfüllt vom sinnlichen weihrauchschwangeren Geruch einer chaldäischen Hure.
„Du kannst reinkommen“, sagte eine vertraute Stimme. „Ich stehe am Fenster, und ich bin allein.“
Es war eine Frau. Ich erstarrte zu Eis, und im nächsten Moment stieg heiße Wut in mir auf. Ich kannte diese Stimme. Von all den Priesterinnen eines Sorrow-Hauses war sie die Letzte, von der ich erwartet hätte, dass sie dumm genug wäre, ein Zimmer mit mir zu teilen.
Die Oberschlampe höchstpersönlich: Melisande Belisa.
Die Frau, die meinen Lehrmeister ermordet hatte.
Sie stand tatsächlich am Fenster, trotzdem untersuchte ich das Badezimmer und riss den Vorhang zur Seite. Der dicke, gutmütige Pater Rosas lag mit aschfahlen Wangen da und schlief den Schlafeines ruhiggestellten alten Mannes. Die roten Flecken auf seiner Nase und den Wangen bezeugten seine Liebe für ein Gläschen über den Durst, und sein ergrauendes Haar war strähnig und fettig. Allmählich bekam er eine Glatze. Aber noch war er gesund und am Leben – und er hatte Besuch.
Sie hatte langes schwarzblaues Haar, und ihre ovalen Lider erinnerten an die einer Katze. Ihre Haut war etwas dunkler, als die Sorrow für gewöhnlich bevorzugten, aber noch immer im Rahmen ihrer Regeln. Und ihre Augen waren abgrundtief schwarz wie die einer Hohepriesterin, die schon länger als vier Zyklen des Sorrow-Kalenders diente: finster von Lid zu Lid, weder Iris noch Weiß drang durch die eiskalte Oberfläche der Augäpfel. Sie trug filigrane goldene Ohrringe. Mein blauer Blick nahm die Schrammen wahr, die das Chaldäische auf ihrer Aura hinterlassen hatte, doch sie schien es unter Kontrolle zu halten, wie einen parasitären Symbionten. Das Ghaldäische war eine Krankheit, die ebenso nützlich war wie ein Arkeus für einen Trader.
Die Großen Alten sind großzügig denen gegenüber, die ihnen dienen – beinahe ebenso oft, wie sie sie verspeisen.
Die Mörderin war in blaue Seide gehüllt und scherte sich offensichtlich kein Stück darum, nicht aufzufallen: Sie trug ein Oberteil mit einem asiatisch anmutenden Stehkragen, weite Hosen und Stoffschuhe. Als wäre sie noch immer in der stillen, mit Weihrauch angefüllten Dunkelheit ihres Hauses, wo
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