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Schattenkampf

Titel: Schattenkampf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Lescroart
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wenig Erfreuliches. Da versucht man etwas Positives zu sehen, wo es irgendwie geht.« Sie erreichten den Empfang. »Aber jetzt zu Ihrem Freund«, sagte sie. »Wie heißt er?«
    »Smith«, sagte Nolan. »Erste Initiale J. Wir nannten ihn J., aber es könnte Jim oder John gewesen sein. Ich weiß«, fügte er mit einem »Was soll ich sagen?«-Lächeln hinzu, »typisch Männer eben.«

    Evan Scholler blickte auf den fallenden Schnee hinaus.
    Entweder hatte er geschlafen oder er konnte sich nicht mehr erinnern, wann es passiert war, jedenfalls hatte jemand Weihnachtsschmuck an der Wand angebracht: ein Baum und diese Tiere, die fliegen konnten und Santa Claus’ Schlitten zogen - er konnte sich nicht erinnern, wie sie hießen, aber er war sicher, irgendwann würde es ihm wieder einfallen; und dann noch Frosty the Snowman - an Frosty konnte er sich erinnern und sogar an das Lied über ihn, das dieser Typ mit der riesigen Nase gesungen hatte. Außerdem hatten sie neben der Tür eins dieser runden Dinger aus Tannenzweigen mit Weihnachtsschmuck dran aufgehängt.
    Es war zum Verrücktwerden. Er wusste, was die einzelnen Gegenstände waren. Nur konnte er sich oft nicht erinnern, wie sie hießen.
    Was er als richtige Erinnerung erkannte, war, dass das sein drittes Zimmer seit seiner Einlieferung ins Walter Reed war. Zuerst hatte er ungefähr zehn Tage auf der Intensivstation gelegen, wo er die meiste Zeit bewusstlos gewesen war; an diese Phase hatte er wenig Erinnerungen, außer dass er damals nicht hatte glauben wollen, dass er nicht mehr in Bagdad war. Es schien ihm unvorstellbar, dass er von der Straße in Masbah, wo er neben seinem Humvee gekauert war, direkt in die Intensivstation gekommen sein sollte.
    So war es natürlich auch nicht gewesen. Sein Sprech- und Sprachtherapeut, Stephan Ray, hatte seine physische und mentale Reise als eine Art Erkennungsspiel gestaltet, das er sich im Zug seiner Therapie eingeprägt hatte. Zunächst war er von Masbah in ein Feldlazarett in Balad gebracht worden, wo sie einen Teil seiner Schädelplatte entfernt hatten. Diesen
Eingriff, mittels dessen seinem Gehirn Platz zum Anschwellen verschafft worden war, nannte man Kraniektomie - dieses Wort behalten zu können, war einer von Evans ersten größeren Therapie-Erfolgen gewesen. Als er es richtig aussprechen konnte und einen Tag, nachdem er es gelernt hatte, wiederholte, hatte Stephan die Faust in die Höhe gereckt und ihm versichert, dass er wieder ganz gesund würde.
    Als Nächstes hatten die Ärzte, immer noch in Balad, etwas ziemlich Irres gemacht. Sie hatten das Stück, das sie aus seiner Schädelplatte herausgeschnitten hatten, in eine Art Beutel gelegt, den sie in seiner Bauchdecke angebracht hatten. Er konnte es immer noch dort drinnen spüren; es war ein bisschen größer als ein Silberdollar - und wenn sein Gehirn in etwa einem Monat hinreichend verheilt wäre, würden sie es wieder in seinen Schädel einsetzen.
    Von Balad war er nach Landstuhl in Deutschland ausgeflogen worden, wo nach einer kurzen Evaluation beschlossen wurde, ihn ins Walter Reed zu verlegen.
    Sein zweites Zimmer hier war auf Station 58 gewesen, in der neurologischen Abteilung. Seine Mom und sein Dad hatten ihm erzählt, dass ihn die Ärzte in den ersten Tagen mehr oder weniger sich selbst überlassen hatten, weil die Army erst zu einer Entscheidung hatte kommen müssen, ob ihm die Behandlung hier überhaupt zustünde. Das hatte er nicht verstanden, aber schließlich hatte sich die Sache zu seinen Gunsten entschieden. Trotzdem hatte er die Station in bester Erinnerung, weil er dort Stephan kennengelernt hatte. Evan hatte zwar keine klare Vorstellung davon gehabt, wo er war und was mit ihm passiert war, aber sein Therapeut gab sich große Mühe, ihm alles zu erklären und ihn durch
einige der schwierigeren und verwirrenderen Phasen zu begleiten.
    Im Wesentlichen machten sie in diesen ersten Tage nichts anderes, als Spiele zu spielen: Lernkarteikarten, Puzzles und einfache Rechenaufgaben. Weder Stephan noch die Ärzte schienen sich erklären zu können, warum Evan so rasche Fortschritte machte; mit ihm ging es wesentlich schneller aufwärts als mit den meisten anderen Soldaten mit Kopfverletzungen, die auf der Station lagen. Schon nach einer Woche auf der Station hatten sie ihn in das Zimmer im dritten Stock über der pädiatrischen Intensivstation verlegt, in dem er jetzt war.

    Es gab neunzehn J. Smiths im Walter Reed, aber nur einen mit einem Schädel-Hirn-Trauma

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