Schattenkampf
Genüge klargemacht haben.«
»Dein Standpunkt ist mir immer klar. Das ist eins der Dinge, die ich so toll finde an dir.«
Er sah ihr in die Augen. »Wirst du ihn anrufen?«
»Ich weiß nicht. Ich sollte es nicht, jedenfalls nicht jetzt gleich. So, wie es seine Mutter dargestellt hat, ist er noch nicht wieder ganz der Alte. Ich möchte nicht, dass ich ihn höre oder sehe und anfange, Mitleid mit ihm zu haben. Das wäre nicht gut.«
»Nein, das wäre es sicher nicht. Mitleid und Liebe lassen sich leicht verwechseln, aber so ist es nun mal.«
»Jedenfalls muss ich mir erst noch klar darüber werden, welchen Stellenwert er für mich hat. Für meinen eigenen Seelenfrieden. Und auch uns bin ich das schuldig.«
»Das kann ich gut verstehen«, sagte Nolan. »Wirklich.« Er leerte sein Glas und stand auf. »Aber wie gesagt, T., lass dir nicht zu viel Zeit. Ich wünsche mir für dich, dass du glücklich wirst, aber ich müsste lügen, wenn ich behauptete, ich würde nicht hoffen, dass du es mit mir wirst.«
»Das kann durchaus sein, Ron. Höchstwahrscheinlich sogar, aber im Moment bin ich einfach etwas unschlüssig. Bitte sei mir deswegen nicht böse.«
»Wie sollte ich dir jemals böse sein, T.? Wenn du diese Frage für dich geklärt hast, können wir vielleicht noch einmal von vorn anfangen.«
»Das wäre schön.«
»Das hoffe ich sehr.« Er sah sie mit einem kalten Lächeln
an. »Deshalb, du hast alle meine Nummern. Ich warte auf deinen Anruf.« Er nickte, stellte sein leeres Glas behutsam auf den Couchtisch, ging zur Wohnungstür, öffnete sie und verschwand in die Nacht hinaus.
10
Evan Scholler war der Feind. Manchmal erfolgte eine solche Einschätzung in Sekundenbruchteilen, manchmal war sie das Resultat reiflicher Überlegung, aber wenn man einmal die Entscheidung getroffen hatte, dass ein Feind eliminiert werden musste, war es nur noch eine Frage der Strategie - wie man dabei vorging. Und in diesem Fall galt es, keine Zeit zu verlieren. Tara war noch unschlüssig, ob sie mit Evan Kontakt aufnehmen sollte, doch das konnte sich jeden Moment ändern. Trotz Taras offensichtlichen Widerstrebens würde irgendwann der Punkt kommen, an dem sie ihn sehen oder mit ihm reden müsste. Und jede Kontaktaufnahme zwischen den beiden hätte verheerende Folgen.
Evan hatte Nolan bezüglich Taras Reaktion auf seinen Brief belogen; Tara hatte er bezüglich des Zwischenfalls in Masbah und vieler anderer Dinge belogen. Diese Lügen würden zusammen mit allen anderen Unwahrheiten an den Tag kommen, und er würde Tara verlieren.
Das galt es zu verhindern.
Deshalb war Evan der Feind.
Nolan fuhr von Tara nach Hause, packte eine Reisetasche, unter anderem mit einer dicken Jacke, und schaffte es bis zweiundzwanzig Uhr zum Oakland Airport. Im überfüllten
Wartebereich des Jet Blue Terminals machte er einen vielversprechend aussehenden Collegeboy aus, quatschte ihn an und gab ihm am Ende dreitausend Dollar bar auf die Hand, damit er seinen Flug stornierte und Nolan seinen Platz in der ausgebuchten Nachtmaschine nach Washington überließ. Er schlief vier Stunden während des fünfstündigen Flugs.
Der Himmel war dicht bewölkt, es schneite leicht, und es herrschten leichte Minustemperaturen, als ihn das Taxi, das er sich am National Airport genommen hatte, um zehn Uhr fünfundzwanzig am Haupteingang des Walter Reed Army Medical Center absetzte. Die Ausmaße der Klinik überraschten ihn. Obwohl er eine grobe Vorstellung von der Zahl der verwundeten Soldaten hatte, die hier behandelt wurden, hatte er sich das Ganze mehr oder weniger wie ein großes Krankenhaus vorgestellt - ein riesiges Gebäude mit einer Menge Patienten und Ärzte.
Es war eher wie eine kleine Stadt. In der Empfangshalle wimmelte es von Menschen. Sie erinnerte ihn in vielerlei Hinsicht an die Empfangshalle des Republikanischen Palasts in Bagdad. Als er am Informationsschalter den Plan der Anlage studierte, stellte er fest, dass es dort fast sechstausend Zimmer gab - er rechnete diese Zahl auf fünfzehn bis zwanzigtausend Betten hoch -, und sie nahmen eine Fläche von einhundertfünfzehntausend Quadratmetern ein.
Er wandte sich von dem Lageplan ab und schaute sich, Orientierung suchend, in dem höhlenartigen Foyer um. Einen beträchtlichen Teil des Empfangs nahm ein großer Informationsschalter ein, aber Nolan war hier, um einen der Patienten des Krankenhauses ins Jenseits zu befördern. Da war es besser, möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Er
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