Schattenkinder - im Zentrum der Macht
abzulenken.
Der Kommandant kniff die Augen zusammen und sah Trey prüfend ins Gesicht. Besorgt fragte sich Trey, ob er zu weit gegangen war. Er hatte versucht sich genauso zu benehmen wie ein kriecherischer Speichellecker in einem Militärroman, den er einmal gelesen hatte. Woher sollte er wissen, wie sich Bevölkerungspolizisten in Wirklichkeit ausdrückten?
Dann sagte der Kommandant: »Ihre Einstellung gefällt mir, junger Mann. Sind Sie ein neuer Rekrut?«
Trey wollte lieber bei der Wahrheit bleiben, für den Fall, dass der Lagerkommandant seine Angaben überprüfen würde.
»Jawohl, Sir! Ich bin erst gestern beigetreten, Sir!« Hatte er wirklich gestern noch in der langen Schlange vor der Villa der Grants gestanden? Es schien ihm Ewigkeiten her zu sein.
»Leider fehlt den neuen Rekruten, die man mir zugewiesen hat, Ihre Begeisterung für die Sache. Sie interessieren sich nur fürs Essen«, schnaubte der Kommandant. Das war ein unfairer Einwand, wenn man bedachte, dass der Kommandant gut und gern zweihundertfünfzig Pfund auf die Waage bringen musste – ganz offensichtlich hatte er schon sehr viel Zeit damit verbracht, sich fürs Essen zu interessieren. »Besteht eine Aussicht, Sie in meine Einheit versetzen zu lassen?«
Na toll
, dachte Trey.
Jetzt habe ich meine Rolle wohl zu gut gespielt.
»Sir?«, wandte er vorsichtig ein. »Ich möchte meinem jetzigen Kommandanten gegenüber nicht abtrünnig werden. Ich muss zuerst meine Pflicht erfüllen, ehe ich daran denken kann, mich versetzen zu lassen.«
»Natürlich«, pflichtete ihm der Kommandant bei. »Ich hätte wissen müssen, dass Ihre Antwort so lauten würde.« Er ordnete Treys Dokumente zu einem sauberen Stapel. »Ich werde Folgendes veranlassen. Ich schicke unverzüglich einen meiner Männer los, um die Gefangenen aus Slahood zu holen. Das wird Ihnen viel Zeit ersparen. Außerdem sende ich einen Wachmann zum Zellenblock Drei hier in Nezeree und lasse den Gefangenen« – er warf einen Blick auf die Unterlagen – »Nr. 908653 vorführen. Und Ihnen lasse ich eine neue Uniform kommen, die Sie anziehen können, während Sie warten.« Der Kommandant blaffte einige kurze Anweisungenin ein Sprechgerät auf seinem Schreibtisch und die Maschinerie setzte sich in Gang.
»Vielen Dank, Sir«, sagte Trey, der sein Glück kaum fassen konnte.
»Wäre noch der Gefangene im Wagen«, fuhr der Kommandant fort. »Für ihn unterzeichne ich auf der Stelle den Exekutionsbefehl.«
»Wie?« Der luxuriöse Raum schien ein wenig in Bewegung zu geraten. Bestimmt hatte Trey den Kommandanten nicht richtig verstanden. Seine brillanten Lügen konnten unmög lich zu diesem Ergebnis geführt haben.
»Wegen tätlichen Angriffs auf einen Officer der Bevölke rungspolizei «, erklärte der Kommandant gelassen. »Denn das ist ein Schwerverbrechen, müssen Sie wissen.«
Er griff zum Stift.
30. Kapitel
J etzt drehte sich wirklich das ganze Zimmer um Trey. Mark wurde zum Tode verurteilt, aber es war Trey, vor dessen Augen sein gesamtes Leben vorüberzog. Wie hatte er das tun können? Wie konnte er Mark – zwei Mal! – das Leben retten, nur um ihn hier sterben zu sehen, kurz vor dem Wiedersehen mit seinem Bruder?
»Nein!«, entfuhr es ihm.
»Was haben Sie gerade gesagt?«, fragte der Lagerkommandant und sein Stift stockte über dem Papier.
»Ich meine: ›Nein,
Sir
.‹ Ich meine –« Trey dachte verzweifelt nach. »Der Gefangene hat es sicher verdient zu sterben, weil er mir, als einem Officer der Bevölkerungspolizei, den Respekt versagt hat. Aber . . . der Kommandant von Churko beabsichtigt diesen Gefangenen foltern zu lassen, aus persönlichen Gründen. Und er möchte seine Hinrichtung selbst beaufsichtigen.«
»Ah«, sagte der Kommandant. Er schien nachzudenken. »Ich verstehe.« Dann nahm er ein anderes Formular von einem der Stapel auf seinem Schreibtisch. »Dann werde ich anordnen, dass man sich auf der Krankenstation um sein Bein kümmert und ihn mit Medikamenten versorgt, damit er lange genug am Leben bleibt, dass mein Kollege in Churko ihn foltern lassen kann.«
Trey sah fassungslos mit an, wie der Mann die Order verfassteund über die Sprechanlage einen Untergebenen zu sich rief.
Was ist das für ein Mensch, der es fertig bringt, einen Jungen aus einer Laune heraus zu töten oder zu retten?
, fragte sich Trey.
Was ist das für eine Regierung, die einem Einzelnen eine derartige Macht zugesteht?
Ein Uniformierter erschien in der Tür und trat wortlos
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