Schattenkrieg
eine Schublade. Keelin hielt sich gerade noch rechtzeitig die Ohren zu, bevor
DängDängDängDängDäng
der Topf geschlagen wurde.
»Aufstehen, ihr Murmeltiere!«, rief Rowena fröhlich. Keelin stöhnte auf. Sie hatte die Leute, die bei der Morgenbesprechung im Krankenhaus immer so gut aufgelegt waren, noch nie leiden können.
Neben ihr wurden Rowenas Mann und ihre Kinder wach, und Keelin machte sich umständlich daran, unter der Decke in ihre Kleider zu schlüpfen. Sie
hasste
es, nackt von einem Mann gesehen zu werden,
immer noch, nach all den Jahren
, und die Tatsache, dass Aldric keinerlei solche Hemmungen hatte, machte es nur noch schlimmer. Eilig kletterte sie die Leiter nach unten in den Wohnraum.
Der neben der Hexenküche einzige Raum des Gebäudes enthielt mehrere Schränke, eine Feuerstelle, einen Tisch mit etlichen Stühlen sowie zwei Truhen. Hier spielte sich das komplette Familienleben ab. Das Lager, aus dem sie gerade geklettert war, war strenggenommen kein eigener Raum – es überspannte etwa drei Viertel des Wohnraums und war auf einer Seite nach unten völlig offen.
Privatsphäre gab es nirgendwo im Haus. Am ersten Tag hatte Keelin das so verunsichert und verängstigt, dass sie es vorgezogen hatte, in der Hexenküche zu schlafen. Zur nächsten Nacht war sie jedoch reumütig in das Gemeinschaftslager zurückgekehrt. Sie war in der Küche zwar nicht
erfroren
(das war einem Druiden auch gar nicht möglich, wenn sie das richtig verstanden hatte), doch sie hatte vor Kälte kein Auge zugetan. Anschließend hatte sie es mit Watte in den Ohren probiert. So bekam sie zwar immer noch mit, was die beiden trieben, aber zumindest schien es ein bisschen in die Ferne zu rücken. Meistens jedoch fand sie abends, wenn Rowena schlafen ging, noch irgendetwas in der Hexenküche zu erledigen, und vermied es, ihr in der nächsten halben Stunde zu folgen. Und die seltenen Male, in denen sie das Liebesspiel der beiden trotzdem noch miterlebte, empfand sie inzwischen wider Erwarten kaum noch schlimm.
Ohne die Watte legte sie sich dennoch nicht schlafen.
»Guten Morgen!«, rief Rowena und verschwand gleich wieder indie Hexenküche. Keelin murmelte einen verschlafenen Morgengruß gegen die sich schließende Tür und begann, frisches Holz auf die Feuerstelle zu schichten. Dann schüttete sie noch zwei Handvoll Hackspäne darunter und blies die Glut des Vorabends an. Als Kenzie, Rowenas Ältester, die Leiter herunterkletterte, leckten schon die ersten Flammen über die Späne.
»Kümmerst du dich um das Feuer?«, fragte sie ihn.
»Ja, Keelin«, piepste er. Er war knappe sieben Jahre alt. Seine Stimme war höher als sämtliche Kinderstimmen, die sie bisher gehört hatte.
Sie schlüpfte in ihren Fellumhang und ging mit dem Brotkorb zum Bäcker.
Draußen hatte die Dämmerung gerade erst begonnen. Der Himmel war noch immer sternenübersät und schwarz, und nur ein schmaler heller Streif im Osten zeugte vom herannahenden Morgen. Aus den Kaminen quoll jedoch bereits Rauch, und die Lichter, die durch Ritzen und Kanten schienen, zeugten vom Erwachen des Dorfs. Keelin lächelte. Eibe hin oder her – sie
liebte
dieses einfache Leben!
Als sie zurückkehrte, hatte Aldric bereits den großen Wasserkessel gefüllt und über das Feuer gesetzt. »Guten Morgen!«, begrüßte er sie mit einem Nicken. »Habt Ihr gut geschlafen?« Obwohl er der Mann ihrer Lehrerin war und obwohl sie nun bereits einen kompletten Monat in demselben Lager schliefen, verwendete er die keltische Höflichkeitsformel für sie. Selbst als junge, frische Druidin nahm sie eine hohe Stellung in der Rangstruktur des Stammes ein. Sie hatte sich noch immer nicht daran gewöhnt.
»Ja, danke!«, antwortete sie.
Nachdem das letzte Eis im Kessel geschmolzen war, teilten sie das Wasser auf. Ein Teil ging in den Waschbottich, ein anderer in den großen Krug, aus dem sie trinken würden. Den Rest hängte Aldric noch einmal über das Feuer. Er brauchte warmes Wasser, um seinen Jüngsten zu waschen. Keelin verdrückte sich mit dem Bottich nach draußen.
Zu Beginn war auch
das
ein Problem gewesen. Normalerweise gingen die Kelten zum Waschen – das hieß, wenn sie sich
überhaupt
wuschen – auf die Stallseite des Hauses, wo eine Pfütze mehr oder weniger auf dem Boden nicht viel störte. Rowenas Haus hatte jedoch keinen Stall. An seiner Stelle gab es die Hexenküche, in der sich das Waschen von selbst verbot. Die Familie wusch sich im »Wohnzimmer«, doch da Keelin nicht
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