Schattenkrieg
verzichtet hätte.
Rowena war eine sehr anspruchsvolle Lehrerin. Gleich am ersten Tag hatte sie mit der Ausbildung begonnen und ihr gar keine Zeit für großes Nachdenken gegeben. In der Kräuterkammer hatte sie ihr anhand von getrockneten Pflanzen erklärt, worauf sie beim Kräutersammeln zu achten hatte. Keelin
liebte
die Kammer. Die Wände waren vollgestellt mit Regalen, in denen verschiedene Krüge, Tiegel und sogar Glasflaschen standen. Überall waren Kräuter zum Trocknen aufgehängt, und auf dem gusseisernen Herd dampfte eigentlich immer irgendein Ansatz vor sich hin und verströmte einen intensiven Kräutergeruch.
Hexenküche
, nannte Keelin den Raum in Gedanken.
Gleich zu Beginn hatte ihr Rowena beigebracht, wie sie zwischen den Welten wechseln konnte. Es war ein merkwürdiges Gefühl gewesen, in die Außenwelt zurückzukehren. Ihre Wahrnehmung war plötzlich wieder begrenzt, der große Strom der Magie eingedämmt. Zum ersten Mal seit ihrem Wechsel in dieInnenwelt hatte sie wieder das Verlangen nach einer Zigarette gespürt.
In der Affric Lodge hatte Rowena verschiedene Bildbände über Kräuter gesammelt. An ihnen sollte Keelin auch jene Pflanzen kennenlernen, die in der Hexenküche gerade nicht vorrätig waren. Als Keelin einmal in einer Pause darin geschmökert hatte, hatte Rowena entschieden angeordnet, die Texte zu den Bildern
nicht
zu lesen. »Die Leute, die das geschrieben haben, glauben nicht mehr an die Heilkräfte der Pflanzen«, hatte sie ihr erklärt. »Die ganze Zeit steht da, ›das So-und-so wird nicht mehr verwendet, weil seine Wirksamkeit nicht bewiesen ist‹ oder ›die Nebenwirkungen des Dies-und-das sind zu stark‹, oder ›man kann es nicht verwenden, weil die Dosierung zu schwierig ist‹. Wenn du dir das durchliest, glaubst du am Ende selber nicht mehr daran, dass die Pflanzen heilen können.«
Keelin hatte sich sehr darüber gewundert. »Aber wie konnte ein solches Wissen in Vergessenheit geraten?«, hatte sie gefragt. Sie hätte sich oft mehr pflanzliche, mehr natürliche Arzneien in der Krankenhausapotheke gewünscht.
»Das ist ganz einfach«, war Rowenas Antwort gewesen. »Die Ärzte und Wissenschaftler der Außenwelt haben bessere oder billigere Wege gefunden, dieselben Wirkungen zu erzielen. Pflanzen sind nicht berechenbar. In dem einen Jahr wachsen sie prächtig, im nächsten nur kümmerlich, und im übernächsten erfrieren die Blüten vielleicht wegen eines späten Frosts. Pflanzen sind von der Jahreszeit abhängig. Außerdem sind Pflanzen sehr aufwändig, wie du bald feststellen wirst. Ich für meinen Teil würde sofort und auf der Stelle meine Beete mit Honigklee und Wermut umgraben, wenn ich hier in der Innenwelt das Aspirin zur Verfügung hätte. Die Außenwelt hat das Wissen vergessen, weil sie es nicht mehr gebraucht hat.«
Keelin war nicht sehr glücklich mit dieser Antwort gewesen.
Bald darauf hatte Rowena begonnen, sie in der Kunst der Kräuterzubereitung zu unterweisen. Seitdem beschäftigte sich Keelinviel und ausgiebig mit der Herstellung von Pasten und Tinkturen, Salben und Tränken. Ein Schmied aus Rowenas Gefolge hatte ihr einen Wappenring gemacht, mit dem sie ihre eigenen Zubereitungen markieren konnte. Als Symbol hatte sie sich die Kreuzotter ausgesucht: Die Schlange sollte an den Äskulap-Stab erinnern, der in der Außenwelt für Medizin und Heilkunde stand, und eine Giftschlange deshalb, weil die Eibe, ihr Druidenzeichen, als giftbringend und hinterhältig verrufen war. Ihr Banner würde deshalb dreigeteilt sein: links oben ein Keiler auf dem dunkelgrünen Karo der Urquharts, rechts oben der braune Adler auf grauem Grund als Symbol für das Glen Affric und unten die Kreuzotter. Allerdings war es eher unwahrscheinlich, dass sie jemals ein Banner brauchen würde – Heiler hielten sich für gewöhnlich in den großen Schlachten, wo Banner zum Einsatz kamen,
hinter
dem Schlachtfeld auf. Rowena hatte gelacht, als sie sie danach gefragt hatte, und ihr geantwortet, dass sie schon beinahe vergessen hatte, wie ihr eigenes überhaupt aussah. »Banner sind etwas für Krieger«, war ihre Meinung dazu.
Inzwischen hatte Keelin mehrere Sätze Kleidung, die extra für sie geschneidert worden waren. Sie besaß lederne Hosen und wollene Hemden, eine Fellweste, zwei Paar gute Stiefel und den Großkilt im blaugrünen Karo der Urquharts, den man ihr genau erklärt hatte. Im Grunde war der Großkilt nicht mehr als eine große Decke aus schwerer Wolle, die man an der
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