Schattenkrieg
Hüfte gürtete, so dass ein Teil des Stoffes wie bei einem Rock bis über die Knie fiel. Den Rest des Stoffes konnte man an warmen Tagen erneut umschlagen oder bei Kälte über eine Schulter drapieren und mit einer Spange fixieren. Er war überraschend warm und nicht halb so unpraktisch, wie sie immer befürchtet hatte. Außerdem besaß Keelin noch einen Satz Kleidung im Außenweltstil. Sie hatte herausgefunden, dass man zwar Gegenstände von der Innenwelt mit nach draußen nehmen konnte, aber nicht umgekehrt. Deshalb war es manchmal von Vorteil, Kleidung zu verwenden, die sich nicht in Luft auflöste, sobald man in die Innenwelt wechselte. In ihrem Fall war es eineschwarzgefärbte Hose mit Cargo-Taschen an den Seiten, ein Kapuzenpullover sowie eine Lederjacke. Sie hatte sie noch nie benutzt.
Die Menschen in der Innenwelt standen früh auf – es gab viel Arbeit zu erledigen, sogar im Winter. Das Vieh musste gefüttert, Kühe gemolken werden. Man schlug Käse, sammelte Hühnereier, mistete die Ställe aus und hielt die Pferde in Bewegung, sofern man welche besaß. Auch das Handwerk kam nicht zu kurz: Schafe wurden geschoren, Wolle gesponnen, Leder gegerbt, Fleisch getrocknet, geräuchert oder gesalzen, um es haltbar zu machen. Kleidung wurde selbst gestrickt und genäht und mit der Hand gewaschen. Keelin konnte noch tausend weitere Tätigkeiten aufzählen, die im Laufe eines Tages verrichtet wurden.
Zu ihren Privilegien als Druidin gehörte, dass sie diese Arbeiten nicht selbst erledigen musste. Jeder Druide hatte Gefolgsleute, die diese weltlichen Tätigkeiten für ihn übernahmen. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie viel Freizeit besaß.
Ein Heiler war nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Tiere zuständig. Das war der Grund, weshalb Rowena noch viel früher aufstand als die meisten anderen Dorfbewohner. Schon Stunden vor Sonnenaufgang schlich sich die Druidin durch die Häuser und besah sich das Vieh. Die Bauern waren daran gewöhnt, und wenn sie von Rowenas Treiben wach wurden, blinzelten sie nur, drehten sich um und schliefen weiter im Wissen, dass sich die Druidin um ihre Tiere kümmerte.
Anfangs hatte Keelin Rowena ein paar Mal bei einem solchen Rundgang begleitet. Seitdem Rowena aber herausgefunden hatte, dass Keelin zwar abends bis tief in die Nacht in der Hexenküche arbeiten konnte, aber früh morgens zu nichts zu gebrauchen war, ging sie meistens alleine und weckte Keelin erst zusammen mit ihrer Familie.
Ja, Rowena hatte Familie. Keelin war höchst erstaunt gewesen. Sie war zwanzig und hätte die Druidin von Verhalten und Aussehen her ungefähr auf das gleiche Alter geschätzt. Tatsächlich jedochwar Rowena
zehn
Jahre älter und nicht nur verheiratet, sondern hatte auch drei Söhne.
Es war noch sehr früh am Morgen. Ein leises Schaben und Klappern hatte Keelin geweckt – Rowena war von ihrem morgendlichen Rundgang zurückgekehrt und rumorte in der Hexenküche. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis sie hereinkommen und laut mit einem Holzlöffel gegen einen der Blechtöpfe klopfen würde. Keelin zog sich eines der Felle über den Kopf und versuchte, noch ein paar Minuten zu schlafen. Die Bewegung legte ihre Füße frei. Sofort begann die eisige Kälte ihre Beine entlang nach oben zu kriechen. Grummelnd strampelte sie ihre Decke wieder nach unten.
Der Gestank im gemeinsamen Schlaflager der Familie war erdrückend. Die Tierfelle, mit denen sie sich zudeckten, rochen nach Kuh und Hirsch, das Stroh steuerte eine etwas modrige Komponente bei. Den Holzbalken entströmte das feine Aroma von Fichtenharz, und wenn man sich darauf konzentrierte, waren sogar die feinen Gerüche aus der Hexenküche zu erahnen. Dies alles wurde jedoch überstrahlt von dem Mief, den fünf nach Standard der Außenwelt ziemlich unhygienische Menschen verströmten. Anfangs hatte der Gestank von altem und neuem Schweiß sie beinahe dazu gebracht, sich zu übergeben, inzwischen empfand sie ihn gerade noch als widerwärtig. Noch ein paar Wochen, vermutete sie, und sie würde ihn nicht einmal mehr wahrnehmen.
Was sie jedoch vermutlich ihr ganzes Leben lang bemerken würde, war der abstoßende Geruch von Sperma, der noch immer in der Luft hing. Rowena und ihr Mann Aldric ließen sich weder durch ihre Kinder noch durch Keelin davon abhalten, jeden Abend miteinander zu schlafen.
Keelin hatte die Augen noch keine fünf Minuten geschlossen, als sich die Tür unter ihr öffnete. Sie hörte Schritte, dann öffnete sich
Weitere Kostenlose Bücher