Schattenkrieg
werden?«, fragte sie lauernd.
Derrien warf Ingmar einen schnellen Blick zu, schüttelte ganz schwach den Kopf. Er strich Ingmars Hand von ihrer Schulter und sagte zu dem Mädchen in freundlichem Tonfall: »Entschuldigung. Er wird nicht von mir dafür bezahlt, freundlich zu sein. Was hältst du davon, wenn ich mich mit einem Drink für meinen Leibwächter entschuldige und wir uns darüber unterhalten, was wir beiden als Nächstes unternehmen?«
Sie zögerte. Es konnte beobachten, wie sich die Anspannung langsam wieder aus ihrem Körper löste. »Gut …«, meinte sie nachdenklich. »Gehen wir etwas trinken.« Sie griff nach seiner Hand und arbeitete sich in Richtung der Bar voran.
»Wer ist es? Wo?«, raunte er Leiff zu, als er an ihm vorbeigezogen wurde.
»Sie selbst!«, kam seine Antwort und bestätigte seine Befürchtungen.
Derrien knirschte mit den Zähnen. Es hatte keinen Sinn, seinen Spion zu fragen,
was
genau sie war. Leiffs Fähigkeiten ermöglichten ihm, übernatürliche Kräfte aufzuspüren, doch er war nicht in der Lage, sie einzuordnen. Das Mädchen konnte ein Schatten sein, ein Fomorer-Talent mit einem aktiven Zauber, eine Ratte,
irgendetwas
… Er spielte kurz mit dem Gedanken, sich einfach von ihr loszureißen, aber er befürchtete, dass es dann zum Kampf kommen würde. Ihm musste etwas Besseres einfallen!
An der Bar setzte sie sich breitbeinig auf einen Hocker und zog ihn zu sich. Ihre Hand griff in seinem Rücken nach seinem Hinterkopf, fixierte ihn. Der Zungenkuss, den sie ihm gab, war für ihnnicht einmal im Ansatz erotisch, genauso wenig wie ihre andere Hand, die er zwischen den Beinen spürte. So nahe wie sie ihm war, befürchtete er, sie könnte bemerken, dass er eine Maske trug. Möglichst schnell löste er sich von ihr.
»Was willst du trinken?«, fragte er mit belegter Stimme – belegt von Stress und Anspannung, doch sie deutete es vermutlich anders.
»Sex on the beach«, erwiderte sie und versuchte, ihn erneut zu küssen.
Dumme Frage
, dachte Derrien. Er wich ihr aus, winkte stattdessen dem Kellner. »Sex on the beach – und das ganze zwei Mal!« Der Keeper nickte gelangweilt, griff nach einigen Flaschen.
Das Mädchen presste ihren Körper enger an ihn. Erneut zwang sie ihre Lippen auf seinen Mund, ihm blieb kaum eine andere Wahl, als ihrer Zunge Einlass zu gewähren. Während des Kusses versuchte er, einen Blick zu seinen Begleitern zu werfen. Er sah Keelin, die eine fragende Miene aufgesetzt hatte, und ignorierte sie. Leiff schien ebenso hilflos zu sein wie er.
Ingmar hatte seine Linke gehoben. Als er bemerkte, dass Derrien zu ihm sah, strich er mit dem Zeigefinger quer über seinen Hals. Es war die Halsabschneidergeste, für die Situation völlig unpassend. Er ärgerte sich maßlos über Ingmars Naivität …
… und
verstand
.
Die Geste wurde in der Unterwelt für etwas anderes verwendet. Sie bedeutete, dass man ein Getränk wollte, in das K. O.- Tropfen gemischt waren. Derrien selbst war zwei- oder dreimal Opfer solcher Cocktails geworden, mit denen man versucht hatte, ihn auszuschalten, vermutlich, um ihn später auszurauben. Sie hatten jedoch nie gewirkt – als Druide war er größtenteils immun gegen Medikamente. Und außerdem hatte er seine übernatürliche Zähigkeit …
Aber die Diskothek war noch nicht die Unterwelt … ob sie hier solche Drinks mischten? Und vor allem: Die Heilungskräfte von Schatten und Druiden waren ziemlich identisch, wenn
er
immundagegen war, war es dann nicht auch das Mädchen? Er zögerte. Das Crack war jedenfalls in ihrem Kopf angekommen.
»He, alter Mann!«, maulte das Mädchen. »Hör auf, an deine Geschäfte zu denken!«
Er sah ihr in die Augen. »Du hast recht«, murmelte er. »Man soll die Feste feiern, wie sie fallen!«
Er zog sie an sich und küsste sie erneut, diesmal aus eigener Initiative. Doch mit den Augen versuchte er, die Aufmerksamkeit des Barkeepers auf sich zu lenken. Der Mann sah auf. Derrien deutete mit seiner freien Hand die Geste an seinem Hals an und verdrehte dabei kurz die Augen.
Der Barkeeper zog die Augenbrauen zusammen. Während das Mädchen offenbar versuchte, ihm die Lippen abzubeißen, hielt Derrien zu dem Mann hinter dem Tresen Blickkontakt. Gerade, als er sich zu fragen begann, ob der Kerl wirklich verstanden hatte, was er von ihm wollte, hob dieser die Hand, rieb den Daumen an seinem Zeigefinger in der wohl universellsten Geste der Welt, seitdem das Geld erfunden worden war. Sein Gesicht nahm eine
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