Schattenkrieg
wurden feucht. Es war tatsächlich Fiona, Fiona aus ihren Träumen! Es war wahr, es
musste
wahr sein, die andere Welt mit dem Dorf am Loch Affric, ihre Träume und die Geschichten, die man ihr erzählt hatte. Sie war nicht verrückt geworden, hatte sich nicht in irrsinnigen Phantasien verlaufen! Sie spürte jetzt deutlich, dass sie an der Schwelle zu etwas Neuem stand. Die vielen Sorgen und Ängste, die bösen Erinnerungen schienen sie plötzlich nicht mehr zu belasten. Die Menschen, die mit ihr im Wagen saßen, würden sie nicht ablehnen, würden ihr kein Leid zufügen. Sie hatten viel dafür gegeben, sie überhaupt bei sich zu haben! Natürlich war Keelin klar, dass wohl auch diese Leute nicht aus reiner Menschenfreundlichkeit gehandelt hatten, aber für den Augenblick war es so angenehm, daran zu denken, dass man nicht alleine war.
Fiona startete den Wagen. Die Scheinwerfer blendeten auf, und sie fuhren los in Richtung Glen Affric.
Eine Träne lief Keelin über die Wange und ließ sie lächeln. Es war nun schon das zweite Mal in kurzer Folge, dass sie in einem fremden Wagen saß und weinte. Überhaupt hatte sie in ihrem Leben oft geweint …
Doch bisher war sie dabei niemals glücklich gewesen.
VERONIKA
Deutsche Militärbasis in Gnjilane, Kosovo
Dienstag, 03. November 1998
Die Außenwelt
Ihr Wecker klingelte um 06:00 Uhr. Veronika widerstand der Versuchung, in der Nestwärme ihres Bettes liegenzubleiben, und stand auf. Theoretisch konnte es sich ein Offizier zwar leisten, zu spät zu seinem eigenen Appell zu kommen, aber Veronika hatte nicht vor, mit schlechtem Beispiel voranzugehen, schon gar nicht an ihrem ersten Tag.
Die Dusche war nur lauwarm. Auf dem Weg zurück in ihr Zimmer kam ihr eine schlaftrunkene Gestalt in Unterhose und T-Shirt entgegen. Er war gut einen Kopf größer als sie, seine kurzen schwarzen Haare standen in alle Richtungen zu Berge, sein Gesicht war von Bartstoppeln bedeckt. Sie trat zur Seite und salutierte.
Der Mann zuckte zusammen und taumelte einen Schritt zurück, offenbar hatte er sie im Halbschlaf nicht bemerkt. Er nickte ihr nur verwirrt zu, ohne den Gruß zu erwidern, und verschwand schnell in den Toiletten.
Mit einer Frau hat hier wohl niemand gerechnet,
dachte sie, während sie sich auf ihrem Zimmer noch einmal die Haare trocken rubbelte. Nachdem sie sich angezogen und die Pistole umgeschnallt hatte, betrachtete sie sich in ihrem kleinen Handspiegel.
Das ist nun die Neue,
kommentierte sie sich.
Klein, blond und weiblich. Verdammt!
Das war ihre große Schwierigkeit bei der Bundeswehr. Sie war keine natürliche Respektsperson, war es noch nie gewesen und würde es niemals sein. Mit einem Seufzer ließ sie ihre Haare, um die sie immer beneidet worden war, in einem hochgesteckten Pferdeschwanzverschwinden. Sie warf noch einen prüfenden Blick in den Spiegel.
Gut. Bieder genug.
Bieder
war der Anspruch, den sie im Dienst an sich stellte. Sie konnte durchaus auch sexy; aber klein, blond und sexy war bezüglich Ansehen und Respekt
noch
schlimmer als klein, blond und bieder.
Ha! Bieder
…
Den Begriff hatte sie sich von Thomas, ihrem letzten Freund, sagen lassen müssen, als er sie verlassen hatte. Sie war so völlig vor den Kopf gestoßen gewesen, dass sie nicht einmal etwas darauf hatte erwidern können. Dabei hatte sie sich damals alles andere als bieder gefühlt – sie war abends gerne ausgegangen, hatte Wert auf modische Kleidung gelegt, war im Bett durchaus zu Experimenten bereit gewesen … Wie er nur die Frechheit besitzen konnte, sie als
bieder
zu bezeichnen, war ihr damals nicht in den Sinn gekommen.
Inzwischen wusste sie es besser: Wie viele andere Frauen hatte Veronika zu Beginn ihrer Bundeswehr-Zeit auch in Uniform sehr viel Wert auf ein attraktives Äußeres gelegt. Aber nachdem sie einmal unbeabsichtigt ein Gespräch ihrer männlichen Kollegen über diese »geilen Wehrdienstfotzen« belauscht hatte, änderte sie ihren Stil. Seitdem hatte Make-up nichts mehr im Dienst zu suchen, ebenso wenig wie ein eng anliegender Kampfanzug oder String-Tangas, die sich darunter abzeichneten. Stattdessen trug sie ihre Uniform genauso wie männliche Soldaten auch: etwas zu groß und ähnlich figurbetonend wie ein Kartoffelsack, dazu die von der Bundeswehr ausgegebene Standardunterwäsche. Sie hatte
bieder
zu ihrem Markenzeichen entwickelt, ohne es selbst zu merken.
Es würde auch so nicht einfach werden. Die Gruppe, die sie nach ihrer Beförderung zur
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