Schattenkrieg
Waffen. Sie schätzte den Mann auf den ersten Blick zwar nicht so ein, aber man konnte nie wissen. Sie kannte Geschichten … Sie bedankte sich kurz für die Sachen und verließ das Depot.
Auf dem Exerzierplatz hatten sich die ersten Männer ihres Zuges eingefunden, die sie mit großen Augen beglotzten. Veronika ignorierte sie und ging zurück zu ihrem Zimmer, um die Ausrüstung abzuladen. In der Kantine traf sie auf Leutnant Fuchs. Er frühstückte, während er von seinem Platz aus die Geschehnisse vor dem Gebäude beobachtete.
»Haben Sie das veranlasst?«, fragte er unnötigerweise.
»Natürlich. Sind die immer so langsam?«
»Sie müssen wissen«, belehrte er sie, »dass die meisten dieserLeute schon seit anderthalb Jahren hier sind. Im Feld neigt man dazu, mit dem Kasernendrill etwas nachzulassen. Das wird von uns Offizieren auch toleriert.«
Sie nickte. Er hatte natürlich recht. Aber die Zeit, die ihre Männer brauchten, grenzte schon fast an persönliche Beleidigung.
Lange Minuten später sah es schließlich so aus, als ob der Haufen Fallschirmjäger auf dem Exerzierplatz nicht mehr größer werden würde, also ging sie nach draußen.
»Aaach-tung!«, rief Feldwebel Ulrich, als er Veronika erblickte. Die Männer nahmen Haltung an. »Zwoter Zug angetreten mit drei Unteroffizieren und fünfzehn Mann!«
»In Gruppen melden«, befahl sie ihm.
Ulrich gab das Kommando weiter.
»Erste Gruppe mit einem Unteroffizier und drei Mann angetreten. Zwo Mann im Lazarett!«
»Zwote Gruppe mit einem Hauptgefreiten als Gruppenführer und vier Mann angetreten! Drei Mann im Lazarett!«
»Dritte Gruppe mit einem Unteroffizier und vier Mann angetreten! Zwo Mann in der Offiziersmesse, drei Mann im Lazarett!«
Veronika rechnete im Kopf mit. Eine Gruppe bestand normalerweise aus einem Unteroffizier und zehn Mann. Also hatte sie acht Mann im Lazarett, fünf Posten waren nicht besetzt. Diese Leute waren vermutlich tot oder so schwer verwundet worden, dass man sie nach Deutschland gebracht hatte. Vor allem die zweite Gruppe war mit fünf Mann kaum handlungsfähig.
Sie nickte den Gruppenführern kurz zu, dann schritt sie die Reihe ab. Die Männer boten einen traurigen Anblick. Sie waren unrasiert, wirkten völlig verschlafen. Die meisten rochen nach Alkohol.
Und trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – besaßen viele die Frechheit, auf sie herabzublicken. Zwei oder drei Männer grinsten sogar. Veronika beschloss, das zu ignorieren. Sie hatte keine Lust darauf, den starken Mann zu markieren, nicht gleich beim ersten Treffen. Es war ihr klar, dass das irgendwann auf sie zukam – das war vermutlich die einzige Sprache, die sie wirklich verstanden –,aber sie vermied solche Auftritte, solange sie konnte. Deshalb hielt sie auch ihre Begrüßungsrede so kurz wie möglich.
»Rühren. Mein Name ist Wagner. Ich komme vom Fallschirmjägerbataillon 261, das derzeitig bei der SFOR-Truppe in Bosnien-Herzegowina steht. Ich war dort Gruppenführerin im Range eines Stabsunteroffiziers. Sie hier sind mein erstes Kommando als Offizier. Kennen Sie das Motto des 261sten?«
Es war mucksmäuschenstill. Sie konnte direkt beobachten, wie sich die Gesichtsausdrücke ihrer Soldaten verhärteten. Ihr wurde klar, dass sie bereits den ersten Fehler gemacht hatte.
Das 261. Fallschirmjägerbataillon galt als eine der erfahrensten Einheiten innerhalb der Bundeswehr mit Auslandseinsätzen im Iran, in Somalia und seit mehreren Jahren auch bei der SFOR. Dagegen war das 373. erst seit anderthalb Jahren im Auslandseinsatz, und das ein halbes Jahr zu früh. Diese Männer versuchten, sich und ihre Einheit zu profilieren. Eigentlich hätte sie sich denken können, dass die Erwähnung ihrer alten Einheit wie eine Provokation wirken musste. Sie hätte nicht damit anfangen dürfen. Doch die Einsicht kam zu spät, und jetzt gab es kein Zurückrudern mehr.
»Das Motto heißt ›Wie Pech und Schwefel‹.«
Die Soldaten standen, stocksteif, Kopf und Augen starr nach vorne gerichtet, ohne eine Reaktion zu zeigen. Sie demonstrierten geradezu lehrbuchmäßig die innere Abkehr, die völlige Inakzeptanz dessen, was sie sagte.
Veronika hatte bei der SFOR anfangs ebenfalls Probleme mit ihrer Gruppe gehabt – allerdings keine so großen, und vor allem nicht schon nach fünf Minuten.
Oh, Scheiße!
»Jetzt gucken Sie doch nicht so belämmert!«, versuchte sie die Situation mit einer vertraulicheren Stimme zu retten. »Es geht mir doch nicht um das 261ste! Aber
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