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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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legte das Heft neben die Karten, verglich die Handschriften, indem sie nach identischen Worten suchte. Gut , keine und bleiben standen in beiden Texten. Das kleine e hatte in allen Worten weite Schleifen, das g dicke Bäuche und das t verwegene Querstriche. Sah schon so aus, als habe Ulrike die Karten geschrieben.
    Lena brachte das Heft zurück und fühlte Enttäuschung. Weshalb? Hatte sie geglaubt, einem Verbrechen auf der Spur zu sein? So ein Quatsch.
    Wer war ­Mike? Die Antwort ließ sich möglicherweise in Ulrikes Zimmer finden. Einen Moment lang beschlichen Lena Skrupel, weiter in den Sachen ihrer Tante herumzuschnüffeln. Aber dann rief sie sich ihre Motivation wieder in Erinnerung: Sie recherchierte, wie das Dokumentarfilmer eben machten.
    Sie begann mit dem Schreibtisch. Nur Schulsachen. Im Regal Bücher, ein Radio mit Kassettendeck und eine Schachtel voller Musikkassetten. Wow. Fast museumsreif. Handy und PC hatte damals noch so gut wie niemand gehabt. Jedenfalls keine Teenager. Schade. Das hätte die Suche sicher vereinfacht.
    Die beklebte Schachtel kam Lena wieder in den Sinn. Sie nahm sie aus dem Schrank. Und hatte Glück: In dem Sammelsurium von Zetteln und Fotos fand sie etliche Papierstücke, auf denen der Name ­Mike stand. Hingekritzelte Gedanken und Gedichtzeilen und endlich etwas Konkretes. Ein begonnener Brief an ein Mädchen namens Clara. Ulrike schwärmte von ­Mike und wie schrecklich es war, dass er in München lebte und sie ihn nur ab und zu in der Disco sah.
    ­Mike kam also tatsächlich aus München. Lena war fast ein bisschen enttäuscht. Sie hatte das Gefühl gehabt, dass Tante Marie in diesem Punkt log. Aber weshalb fuhr er dann in die Disco nach Altenbrunn?
    Unten wurde ein Schlüssel ins Schloss gesteckt. Einen Moment später schlug die Haustür zu. »Lena?« Steffi war zurück.
    Lena ging in den Flur. Ihre Mutter sah müde aus. »Kann ich mich in die Küche wagen? Ich habe nämlich keine Lust auf eine Predigt.«
    »Cool down. Alles glänzt und die Papierberge sind weggeräumt.«
    »Danke.« Steffi zog die hochhackigen Schuhe aus.
    »Sag mal, gibt es hier eine Disco?« Lena kam die Treppe herunter.
    »Seit wann gehst du in die Disco?«
    »Einmal ist immer das erste Mal. Gibt es hier eine?«
    »Nein.«
    »Und wohin seid ihr zum Tanzen gegangen?«
    »Ins Moonlight nach Bad Tölz. Ulrike jedenfalls. Ich bin nicht in Discos gegangen.«
    »Weißt du, wo ich diesen ­Mike aufstöbern kann, in den Ulrike damals verknallt war?«
    Steffi drehte Lena den Rücken zu, bückte sich und räumte die Schuhe ins Regal. »Das ist ewig her. Keine Ahnung.«
    Lena ließ nicht locker, kam aber keinen Schritt weiter. Steffi wich aus und blockte ab. »Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir. Ich nehme jetzt ein Bad.« Und damit war das Thema erledigt. Jedenfalls für heute, dachte Lena.

Samstag, 2. Juni 1990
    Sie träumte nicht. Obwohl es sich beinahe so anfühlte. Ein wenig unwirklich. Als ob sie schwebte. Dabei stand sie mit beiden Beinen fest auf der Erde. Vor der Tür mit der Messingklingel, die zu dem futuristisch anmutenden Haus gehörte, in dem ­Mike mit seinen Eltern wohnte. Glas, Stahl, Beton.
    »Wenn du dich unbedingt in den Reigen seiner Eroberungen einreihen willst, dann nur zu«, hatte Clara gesagt, als Ulrike ihr von der Verabredung mit ­Mike erzählt hatte. »Ich würde die Finger von ihm lassen, nach allem, was man so hört.« Clara hatte keine Ahnung. Sie kannte ­Mike nicht, hatte ihn zweimal gesehen. Die beiden Male, als es Ulrike gelungen war, ihre Freundin ins Moonlight zu schleppen. Vielleicht waren es auch dreimal gewesen. Brave Beamtentochter und verruchte Disco, das passte nicht so recht zusammen. Felix hatte Clara ein wenig angebaggert und vermutlich war er es gewesen, der ­Mike zum Casanova ausgerufen hatte. Gut, ­Mike hatte schon einige Freundinnen gehabt. Das war doch normal. Ulrike wollte jedenfalls lieber einen Freund, nach dem alle Mädchen lechzten, als so ein Pickelgesicht wie Crossi.
    ­Mike liebte sie. Das hatte er ihr vor zwei Wochen gesagt, als er sie in seinem BMW nach Hause gefahren hatte. Nicht gleich nach Hause. Vorher war er in einen Feldweg eingebogen, hatte sie geküsst und ihr ins Ohr geflüstert, dass er auf sie gewartet habe.
    »Du bist es. The one and only.« Die Nacht war sternenklar.
    Mike holte eine Decke aus dem Kofferraum, breitete sie auf der Wiese aus. »Komm.«
    Sie legte sich neben ihn. Die Nachtluft strich durch die Felder, ließ sie leise

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