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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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Kaputte Fensterläden, Türen, die nur in einer Angel hingen. Das Dach war löchrig, an einigen Stellen lugten Dachpappe und modrige Balken hervor. Im Garten wucherten Rosen und Jasmin zwischen Brennnesseln und hüfthohem Gras. Ein verwunschener Ort.
    Lena stoppte, holte den Camcorder aus dem Rucksack und erfasste in einem langsamen Schwenk Garten und Haus.
    Als sie fertig war, verstaute sie die Kamera wieder und stellte erst jetzt fest, dass den anderen ihr Stopp nicht aufgefallen war. Sie schwang sich aufs Rad und trat in die Pedale, um sie einzuholen. Von irgendwo erklang das feine Klingeln von Glöckchen. Ein Mann trat aus dem Wald. Lena sah ihn zu spät. Sie bremste, versuchte auszuweichen. Das Rad schlingerte, rutschte weg. Ehe sie sich versah, knallte sie auf den steinigen Weg und blieb einen Augenblick benommen liegen. Neben dem Mann stand plötzlich, wie aus dem Nichts gewachsen, ein Husky. Seine Augen waren blau wie Stahl. Knurrend sprang der Hund auf sie zu. Lena schrie auf und kam auf die Beine. Ihr Knie brannte wie Feuer.
    »Tadi. Bei Fuß.« Die Stimme des Fremden war leise. Der Hund gehorchte sofort, kehrte mit hochgezogenen Lefzen zu seinem Herrchen zurück.
    Lenas Herz raste. Im Moment wusste sie nicht, vor wem sie sich mehr fürchten sollte. Vor dem Hund oder dem Mann, der jetzt auf sie zukam, den Hund lauernd an der Seite? Er sah zerlumpt aus, wie ein Penner. Ein säuerlicher Geruch nach ungewaschenen Klamotten, fettigen Haaren und Schweiß ging von ihm aus. Am Gürtel seiner zerschlissenen Hose baumelte eine vergilbte Plastikmilchkanne ohne Deckel. Zwei Schritte von ihr entfernt blieb er stehen und musterte sie mit finsterem Blick. Dann schüttelte er kaum merklich den Kopf, als würde er einen unerfreulichen Gedanken verscheuchen, murmelte etwas Unverständliches und wandte sich ab.
    Dabei sah Lena, dass die Milchkanne voller Himbeeren war. »Tadi«, flüsterte er. So lautlos, wie sie gekommen waren, verschwanden Herr und Hund im Wald.
    »Puh!« Lena stieß die Luft aus und hob das Rad auf. Im selben Moment kam Daniel in hohem Tempo angeradelt und stoppte vor ihr. »Alles okay? Hast du dir wehgetan?«
    Noch immer benommen schüttelte Lena den Kopf. »Was war das denn für ein Freak? Kennst du den?«
    »Odakota. Er ist harmlos. Ein Spinner. Wegen dem brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Eher wegen deines Knies.« Aus der Satteltasche seines Rades holte Daniel Pflaster und eine Tube Salbe. Kurz darauf war Lenas Wunde verarztet und die beiden fuhren ins Dorf.
    Florian und Rebecca hatten die Fensternische im Il Cappuccino ergattert und warteten bereits auf die Nachzügler. »Na, amüsiert?« Über Rebeccas Gesicht glitt ein anzügliches Lächeln.
    Denkt sie vielleicht, ich will was von ihrem Bruder?, dachte Lena verblüfft.
    »Lena hatte einen kleinen Unfall.« Daniel setzte sich.
    »Genauer gesagt ist mir ein Penner vors Rad gelaufen. Ich konnte nicht ausweichen und bin gestürzt. Und dann wäre sein Hund beinahe auf mich losgegangen.« Der Platz neben Florian war der einzig noch freie. Lena rutschte an seine Seite.
    »Sie hat Bekanntschaft mit Tadi und Odakota gemacht.« Daniel griff nach der Karte.
    »Was für ein komischer Kauz! Er kam wohl gerade vom Himbeerpflücken.«
    »Vermutlich kocht er damit Marmelade«, meinte Rebecca. »Odakota lebt total geldlos. Er ernährt sich von dem, was er im Wald findet, und von den Dingen, die andere wegwerfen. Also sozusagen vom Überfluss unserer Gesellschaft. Ich finde ihn auch ziemlich unheimlich … also allein im Wald möchte ich dem nicht begegnen. Aber irgendwie hat er auch recht.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Lena.
    Rebecca strich die langen Haare zurück. »Findest du das nicht auch total krank? Zuerst werden Lebensmittel in Massen produziert, und wenn ein bestimmtes Datum überschritten ist, werden sie weggeworfen, obwohl sie noch genießbar sind. Und anderswo hungern die Menschen. Das ist schon ziemlich pervers, wenn man mal darüber nachdenkt.«
    »Stimmt.« Florian nickte und blickte dann zur Kellnerin, die inzwischen an den Tisch getreten war. »Bestellen wir zwei Milchkaffee, obwohl wir sie bezahlen müssen?«
    Die Bedienung nahm die Bestellungen entgegen und verschwand. Lena war gedanklich noch bei Odakota. »Wenn dieser Odakota … heißt er wirklich so?«
    »Eigentlich heißt er Oliver. Oliver Aigner. Seinen Eltern gehört die Bäckerei im Dorf«, erklärte Daniel.
    »Lebt er wirklich ganz ohne Geld? Wie macht er das mit seiner

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