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Schattenkuss

Schattenkuss

Titel: Schattenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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Zeitschriften in die Kartons zu packen, die Steffi fürs Altpapier besorgt hatte. Und räum bitte endlich die Küche auf!
    Bin ich hier die Haushälterin oder was? Lena setzte sich in den Garten und starrte auf den Pool der Leitners. Von Florian keine Spur. War auch gut so. Schmetterlinge im Bauch waren nur dann ein angenehmes Gefühl, wenn es den Hauch einer Chance gab, dass sie irgendwann befreit wurden.
    Etwas raschelte im Dahlienbeet. Eine schwarz und weiß getigerte Katze kam aus einem Urwald von Stängeln, Blättern und Blüten hervor. Als sie Lena entdeckte, blieb sie stehen, hob den Kopf und miaute kläglich.
    »Na, du hast wohl Hunger.« Lena beugte sich hinunter und sofort kam die Katze näher und schmiegte sich an Lenas Bein. Ihr Fell war weich, darunter spürte Lena Haut und Knochen. »Du bist dürr wie Victoria Beckham. Mal sehen, ob Oma Katzenfutter hat.«
    In der Speisekammer entdeckte Lena lediglich eine Dose Thunfisch und servierte sie der Katze, die sich darauf stürzte, als habe sie seit Wochen keine Maus gefangen. Als der Teller leer geschleckt war, sprang sie Lena auf den Schoß und rollte sich zusammen. »Na, Becky, wenigstens eine von uns beiden ist zufrieden.« Die Katze schnurrte.
    Das Gefühl, dass Tante Marie und Steffi irgendetwas verheimlichten, ließ Lena nicht los. Niemand brach wegen schlechter Noten oder einer unglücklichen Liebe mit seiner Familie und ließ zwanzig Jahre lang so gut wie nichts von sich hören. Es musste noch etwas anderes geschehen sein. Etwas, das Ulrike mit gutem Grund so lange Zeit nicht verzeihen konnte.
    Weshalb war Tante Marie ausgewichen, als Lena nach Namen gefragt hatte? Und weshalb hatte sie sich schützend vor Steffi gestellt? Du weißt, dass du alte Wunden aufreißt. Von wegen! Steffi hatte nie über Ulrike gesprochen. Jedenfalls nicht in dem Zeitraum, an den Lena sich erinnern konnte. Steffi hatte Ulrike einfach unterschlagen. Sie ist nicht aus Stahl. Ach ja? Steffi war tough, wusste genau, was sie wollte und wie sie es erreichte. Sie ging über Leichen. Und nun war sie drauf und dran, Tom abzuservieren und sich diesem Anwalt an den Hals zu werfen. Das Grundstück ist ein Vermögen wert. Seit Lena denken konnte, hatte Steffi betont, wie wichtig ihr ihre finanzielle Unabhängigkeit war. Schon kurz nach Lenas Geburt hatte sie deshalb wieder zu arbeiten begonnen, ebenso nachdem Lukas auf die Welt gekommen war. Und jetzt war Tom auf sie angewiesen, die ganze Familie war es. Wenn Steffi das nun zu viel wurde? Plötzlich hatte Lena ein schlechtes Gewissen.
    Becky streckte sich, gähnte und sprang auf den Boden. Ohne sich nach ihrer Wohltäterin umzusehen, verschwand sie um die Hausecke.
    In einem Anfall von Harmoniesucht räumte Lena die Küche auf und machte sich dann daran, die Pappkartons zu füllen. Zeitungen und Zeitschriften stapelten sich überall im Haus. Gartenhefte, Tageszeitungen, Wochenblätter, Klatschmagazine. Im Wohnzimmer lagen noch immer die Postkarten auf dem Couchtisch. Diesmal betrachtete Lena sie genau. Elf Stück. Die erste war im August 1990 in Kreta abgeschickt worden.
    Hallo ihr Daheimgebliebenen! Macht euch keine Sorgen. Es geht mir gut. Ich werde vorerst in Griechenland bleiben. Gruß, Ulrike.
    Lena entzifferte die Poststempel und ordnete die Karten chronologisch. Die nächste war aus Rom gekommen, die folgenden aus Verona, Paris, Aix-en-Provence, Teneriffa, Valencia, Lissabon, Malaga, London. Die letzte im Reigen war die aus Barcelona. Im Laufe der Jahre hatte sich Ulrikes Handschrift verändert. Weiche, runde Schwünge waren steiler und enger geworden und kippten nun stark nach rechts. Kein Wunder: Ulrike hatte die erste Karte mit siebzehn geschrieben, die letzte im Alter von fünf­und­dreißig Jahren.
    Der Rucksack lag in der Küche. Lena holte den Camcorder hervor und filmte die Karten von beiden Seiten. »Das sind also Ulrikes Lebenszeichen. Ansichtskarten. Sie schreibt: Hallo ihr Daheimgebliebenen. Es klingt, als würde sie Urlaub machen und demnächst wieder hier aufkreuzen. Ziemlich langer Urlaub. Steffi und Tante Marie verheimlichen irgendwas. Aber ich werde schon noch herausfinden, was.« Lena legte den Camcorder beiseite und ging nach oben, in Ulrikes Zimmer.
    Wenn Oma alles aufbewahrt hatte, dann hielten Ulrikes Schulhefte seit zwei Jahrzehnten im Schreibtisch Dornröschenschlaf. Bingo. Schon in der ersten Schublade wurde sie fündig. Das Deutschheft lag obenauf.
    Lena nahm es heraus und ging damit nach unten. Sie

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