Schattenlord 2 - Stadt der goldenen Türme
lächelte den jungen Mann an.
»Er ist Sklavenhändler!«, protestierte Andreas. »Lass mich hinter ihm gehen! Er wird keinerlei Skrupel haben, dich von den Sprossen zu schubsen, um an dir vorbeizukommen.«
»Was unterstellst du mir, räudiger Fnarz?«, fuhr ihn Najid an und fuhr zischelnd die ungewöhnlich lange Zunge aus, die an einen Wurm gemahnte. »Außerdem würde ich es niemals wagen, wertvolle Ware zu beschädigen!«
Ware ... Immer wieder machte ihr Gefangener deutlich, was er von ihnen hielt.
»Also los!«
Laura wartete, bis Andreas Najids Fesseln ein wenig gelockert hatte. Sie gab dem Kleinen einen Klaps und bedeutete ihm, auf die unterste Sprosse zu steigen. Fasziniert sah sie zu, wie er wieselflink nach oben kletterte.
»Trau ihm nicht!«, mahnte Andreas leise. Er reichte ihr ein Messer. Es war mit violett glänzenden Perlmuttsteinen besetzt und hatte einmal Najid gehört. »Seine Versprechen sind nichts wert. Er sieht uns als Tiere, und Tiere darf man jederzeit belügen und betrügen.«
»Ich weiß.« Lauras Hände fuhren über den Griff des Messers. Sie würde lernen müssen, es als Waffe zu sehen und nicht als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens.
Dreimal fest durchatmen, all die guten Ratschläge verinnerlichen - und los ging's. Laura zog sich hoch. Es ging verblüffend leicht. Die Abstände von Stange zu Stange waren ausreichend. Es war nicht viel schwerer, als eine Leiter hinaufzusteigen.
Rasch hatte sie zehn, dann zwanzig Sprossen hinter sich gebracht. Sie wandte sich um. Andreas folgte und signalisierte ihr, gefälligst nach oben zu blicken. Laura gehorchte. Der Abstand zu Najid wuchs an; der Sklavenhändler hatte Milt beinahe eingeholt.
Weiter oben geriet die Kolonne ein wenig ins Stocken, und Laura ahnte, warum. Norbert Rimmzahn beschäftigte sich wieder einmal mit seinem Lieblingsthema, mit sich selbst, und vergaß dabei vollends das Klettern. Er nörgelte herum, hielt inne und ließ den Glatzköpfigen aus Reihe sechs in einem waghalsigen Manöver passieren, bevor er den Weg endlich fortsetzte.
Die erste Zwischenstation war rasch erreicht. Drei Männer machten hier erste Rast, eng nebeneinanderstehend. Sie verteilten ihr Gewicht auf mehrere Stangen, die hier aus dem Dünensand ragten. Zoe war längst weitergestiegen und half weiter oben, Norbert und Maurice, die beiden Störenfriede, die Sprossen hochzutreiben.
»Ein Viertel haben wir hinter uns«, sagte Laura. Sie gesellte sich zu Milt, der wiederum ein Auge auf Najid hatte.
»Von nun an wird's schwieriger«, flüsterte ihr der Mann von den Bahamas im Vertrauen zu. Er deutete auf die Frauen und Männer vor ihnen. »Sie haben Angst, und der Steigungswinkel nimmt immer weiter zu.«
»Wir schaffen's!« Laura packte unverrückbare Gewissheit in diese beiden Worte. »Also los! Weiter geht's!«
War das wirklich sie, die da sprach? Die sonst so unsicher agierende Frau, die mit den Anforderungen, die die große weite Welt an sie stellte, mitunter schlecht zurechtkam?
Milt und seine Vorderleute setzten sich in Bewegung, dann Najid, dann sie und zu guter Letzt Andreas, wie gehabt.
Die Beine begannen zu schmerzen, erste Schweißtropfen bildeten sich auf ihrer Stirn. Sie fühlte Durst. Die Wasservorräte waren nahezu aufgebraucht.
Die Aussicht war atemberaubend; die Dünen ringsum wurden kleiner und unbedeutender - und die Wand, die sie zu begehen hatten, wuchs immer weiter in die Höhe.
Eine zweite Pause. Laura holte tief Luft. Najid wirkte unbeteiligt, die anderen Männer rings um sie atmeten ebenso rasch wie sie.
Nach wenigen Augenblicken stiegen sie weiter. Mit einem Blick nach oben vergewisserte sich Laura, dass sich die Perlenkette der Menschen mittlerweile in mehrere kleine Grüppchen aufgeteilt hatte. Jack war derweil von der Oberkante der Düne wieder herabgestiegen und half bei Zwischenstation drei einer Frau, neuen Mut zu fassen. Die Müller-Kinder hatten es bereits bis ganz nach oben geschafft, die Mutter der beiden, die zart gebaute Angela, ebenso. Zoes lange Beine waren gegen das Dunkelviolett des verbackenen Sands gut zu erkennen. Sie half, wo sie nur konnte. Niemand zeigte mehr Interesse an ihrer nackten Haut; zu sehr waren die Passagiere des Unglücksfluges mit ihrem eigenen Vorwärtskommen und Überleben beschäftigt.
Es ging nun beinahe senkrecht in die Höhe. Sie erreichten das Ende der Schattenzone. Lauras Kopf schmerzte, als sie von einem Moment zum nächsten ins Licht der Sonne blickte. Ihre Beine
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