Schattenlord 5 - Sturm über Morgenröte
genug unter Menschen gelebt hatte, sollte er wissen, wie zerbrechlich die Sterblichen waren; demzufolge musste er sich mit seinen Foltermethoden zurückhalten. Elfen und Zwerge, alle Wesen der Anderswelt, selbst Nidi waren nicht so leicht und schnell zu töten wie Menschen.
Insbesondere musste Alberich vorsichtig sein. Ging er nur versehentlich zu weit, bestand keine Möglichkeit mehr, auch mit stärkstem Zauber nicht, Laura von den Toten zurückzuholen. Nicht einmal ein Vampir könnte es schaffen, sie zu seinesgleichen zu machen, weil sie sich in dem Moment, wenn sie starb, in nichts auflöste. Mit viel Glück konnte der Fliegende Holländer ihre Seele einfangen, aber sie war dann zu nichts mehr zu gebrauchen, außer anderen Schrecken einzujagen und beim Seelensammeln zu helfen.
Also hatten sie so etwas wie ein Patt. Laura konnte Alberich nichts antun, aber er ihr auch nicht. Denn Nidi ... Der Schrazel war nicht mehr da. Also musste es ihm gelungen sein zu entkommen. Alberich konnte keinen Nachschub an Goldstaub aus ihm herausschütteln.
Und damit bestand kein Grund mehr, sich vorsichtig zu verhalten. Ab dieser Erkenntnis hatte sie nur noch an Flucht gedacht. Während Alberich schwadronierte und sich seltsam benahm, hatte sie die Wände angestrengt betrachtet, um einen Durchschlupf zu finden. Es musste einen Seiteneingang geben, es gab immer einen für die Diener. Mindestens einen. Meist führte er in die Küche, aber sicher gab es zudem Geheimgänge.
Da krachte diese Statue durchs Fenster, und Laura fackelte nicht lange. Während Alberich abgelenkt war, rannte sie zu einem Wandteppich, schlüpfte dahinter und tastete sich an der Wand entlang, bis sie endlich eine Nische fand und dahinter eine halb offene Tür. Ohne sich noch einmal umzusehen, eilte sie hindurch und folgte den Stufen nach unten.
Den Gerüchen nach zu urteilen, ging es tatsächlich in die Küche. Unterwegs begegnete sie ein paar Dienern, die wie aufgereiht an der Wand standen und offenbar darauf warteten, dass Alberich sie rief. Sie würdigten Laura keines Blickes - niemand hatte ihnen den Befehl erteilt, einen Flüchtling aufzuhalten.
Das war eben der Nachteil einer unumschränkten Gewaltherrschaft. Die untersten Chargen taten nur das, was ihnen aufgetragen wurde, und nichts darüber hinaus. Sie wollten keine Bestrafung riskieren. Falls ihr Herr ihnen Fragen stellen würde, würden sie einfach so tun, als hätten sie nichts gesehen und gehört. So manch einen mochte dennoch ein grausiges Schicksal ereilen, aber meist dürfte diese Taktik aufgehen.
Laura beachtete sie ihrerseits ebenfalls nicht: nur keine unnötige Aufmerksamkeit erregen!
Sie hatte das Ende der Treppe fast erreicht und sah das Gewölbe unten schon, da blieb Laura abrupt stehen. Von der Küche drang Kampflärm herauf. Offenbar waren einige Iolair sehr hungrig.
So ein Mist! Normalerweise hatte die Küche einen direkten Weg nach draußen, in der Regel über eine nicht zu steile Rutsche, um schwere Nahrungsmittel wie Mehlsäcke, Fässer und dergleichen direkt vom Wagen an den Bestimmungsort zu bringen. Oder es gab sogar einen direkten Zugang zu den Stallungen oder dem Warenlager. Ein leichter Weg und nun versperrt.
Laura sah sich um. Wohin sollte sie jetzt? Sie kannte sich im Schloss überhaupt nicht aus, lediglich der Weg zwischen Thronsaal und Gefängnis war ihr inzwischen bekannt. Wenn sie nur Finn finden könnte! Sie hatte kurz vor dem Überstülpen des Sacks mitbekommen, dass der Nordire geflohen war, und sie hoffte, dass er noch nicht wieder eingefangen worden war. Er kannte sich sehr viel besser aus als sie, konnte sich Wege besser merken und hatte einen gut ausgeprägten Orientierungssinn. Also all das, worüber Laura nicht verfügte.
Und Nidi! Wo mochte der kleine Schrazel sein? Mit ihm zusammen fühlte Laura sich viel stärker, denn sie war nicht allein, und er war ein magisches Wesen.
Aber wie es aussah, war sie auf sich gestellt und musste zusehen, wie sie zurechtkam. Wenigstens war Alberich nicht hinter ihr her, und er schien auch keinen Befehl erteilt zu haben, sie zu fangen. Die Iolair mussten ihm inzwischen derart zusetzen, dass er seine gesamte Konzentration auf die Palastverteidigung verwenden musste. Wahrscheinlich war er sich Lauras so sicher, dass er sie für eine Weile in trügerischer Freiheit ließ.
Ich hasse ihn, dachte sie. Und ich werde mich rächen für das, was er mir angetan hat. Das klang wie ein Schwur und erschreckte sie ein wenig. So hatte
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