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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ruhig. »Ich möchte hier nicht mehr sein.«
    »Das geht nicht. Du gehörst Uns.«
    »Ich gehöre nur mir selbst.«
    Ke-Amarihye stellte die Öllampe auf einem kleinen Nachttisch neben ihren Kissen ab. Die Melodie der Stadt wurde langsamer, düsterer. »Es würde Uns sehr missfallen, wenn du gehst«, sagte sie, »und Wir denken, dass dir klar ist, was geschieht, wenn Uns etwas missfällt.«
    Nidi hob die Schultern. »Mir egal. Leg deine Stadt doch in Schutt und Asche, wenn dir das gefällt. Du musst hier leben, nicht ich.«
    »Was fällt dir ein, Uns zu duzen?«, schrie Ke-Amarihye. Dissonanzen woben sich in die düstere Melodie. Vor der Tür begann eine Frau zu schluchzen.
    »Und was fällt dir ein, mich zu deinem Sklaven machen zu wollen?« Nidi war angespannt. Er wusste, dass Ihre Majestät ihn mit einem Schlag zerquetschen konnte.
    Sie hielt inne. Ihre Stimme nahm einen weinerlichen Klang an. »Wir wollen keinen Sklaven, Wir wollen einen Freund an Unserer Seite, der Uns unterstützt und zum Lachen bringt. Findest du Uns so abstoßend, dass du dir ein Leben in Unserer Gesellschaft nicht vorstellen kannst?«
    Im ersten Moment wollte Nidi die Eröffnung nutzen, die sie ihm bot, doch etwas, das in ihren Worten mitschwang, hielt ihn davon ab.
    »Ein sehr böser Mann«, sagte er, »hat mich einmal gefangen genommen. Er wollte etwas haben, was nur ich ihm geben konnte, und in seiner Gier hat er mich beinahe umgebracht. Ohne die Frau, die du heute aus der Flöte geworfen hast, wäre ich gestorben. Seitdem sind wir Freunde, und wenn du uns trennst, weil du etwas von mir haben willst, bist du ebenso böse wie dieser Mann.«
    Er atmete tief durch. Es fiel ihm immer noch schwer, über seine Zeit auf dem Seelenfänger zu reden.
    »Ich habe keine Freunde.« Der weinerliche Tonfall war aus Ke-Amarihyes Stimme verschwunden, so wie der Majestätsplural aus ihren Worten. »Ich habe Dienerinnen, Berater und Untertanen.«
    »Die du tyrannisierst.«
    Sie lächelte ohne Freude. »Die Angst, die ich in ihren Augen sehe, bringt das Schlimmste in mir hervor.«
    »Nur du hast es in der Hand, das zu ändern.« Nidi kratzte sich mit seinem Fuß hinter dem Ohr. »Willst du eine letzte Geschichte hören? Sie handelt von einem Gott, den ich mal kannte. Sein Name war Thor. Er war nicht sehr schlau, aber sehr, sehr mächtig. Alle hatten Angst vor ihm.«
    Ke-Amarihye hörte ihm wortlos zu. Die Geschichte, die Nidi erzählte, handelte von Thors Jähzorn und wie er ihn überwand. Sie war erfunden, Thor hatte seine Launen nie in den Griff bekommen, aber das musste die Herrscherin ja nicht wissen.
    »Und so«, sagte er schließlich, »wurde Thor zum mächtigsten und angesehensten Gott in ganze Asgard.«
    »Eine schöne Geschichte.« Ke-Amarihye lehnte sich in ihre Kissen. »Aber ich könnte nie so sein wie er.«
    »Du könntest es versuchen.«
    Wieder dieses freudlose Lächeln. »Indem ich dich gehen lasse?«
    Nidi nickte. »Probiere es aus. Vielleicht gefällt es dir ja, etwas Selbstloses zu tun und einem anderen große Freude zu bereiten.«
    Sie schwieg. Nidis Herz schlug schneller. Er wollte nicht, dass die Wesen in dieser Stadt unter seiner Flucht litten, auch wenn er sich gleichgültig gab. Doch er würde nie wieder als Gefangener leben, das hatte er sich vorgenommen.
    Ke-Amarihye seufzte. »Ich werde traurig sein, wenn du weg bist, daran kann ich nichts ändern.«
    »Traurig ist nicht schlimm.«
    »Also gut.« Nidi spürte, dass Ke-Amarihye ihre ganze Kraft zusammennahm. Trotzdem woben sich Dissonanzen in die Melodie. »Dann geh.«
    Er legte seine winzige Hand auf ihre große, nickte und ging zur Tür. Der Schlüssel ließ sich leicht drehen, die Klinke drückte Nidi mit seinem Greifschwanz hinunter. Als er durch den Saal dahinter lief, hörte er die schlafenden Dienerinnen in ihren Betten leise weinen.
    Es tut mir leid, dachte er und sprang durch ein offenes Fenster in die Freiheit.

33
     
    Barend Fokke
     
    E r war wie ein gewaltiger schwarzer Fels in Andreas’ grauer Welt. Ihn sah er klar und unverschwommen wie durch einen Riss in dem Nebel, der ihn umgab.
    Fokke war groß, fast zwei Meter, und noch breiter als sein Steuermann. Seine wachsbleiche Haut spannte sich über ein kantiges Gesicht. Dichtes schwarzes Haar fiel ihm bis auf die Schultern, und seine Kleidung war ebenso schwarz wie die tief in den Höhlen liegenden Augen. Die Enden seines Vollbarts wurden von Goldringen zusammengehalten; das war der einzige Schmuck, den er trug. Eine

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