Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Geist schwindet«, sagte er nach einem Moment. »Du solltest besser gehen.«
»Was soll das heißen?« Margarethe sah ihn verständnislos und ängstlich an.
Huberts Geist erinnerte Cedric an den letzten Rauch eines niedergebrannten Feuers. Die Flammen waren bereits erloschen, der Rauch war nur noch eine Erinnerung an sie.
»Dass niemand ihm mehr helfen kann. Der Geist deines Mannes löst sich auf.«
Margarethe schlug die Hände vor den Mund. Tränen liefen über ihre Wangen und verschleierten ihren Blick. Sie schien nicht zu bemerken, was neben ihr auf dem Bett geschah.
Huberts Körper verblasste wie ein Schatten im Sonnenlicht. Seine Haut wurde durchscheinend, enthüllte jedoch nicht das Fleisch und die Adern darunter, sondern die Decken des Bettes. Jack wich unwillkürlich einen Schritt zurück, draußen am Fenster stieß jemand einen unterdrückten Schrei aus. Margarethe drehte den Kopf. Ihre Augen weiteten sich, als sie sah, wie ihr Mann sich neben ihr auflöste. Sie wollte seine Hand ergreifen, so als könne sie ihn mit einer einfachen Geste in ihrer Welt halten, aber ihre Finger glitten durch seinen Arm und fanden nur Stoff.
Sie schrie auf. Jack war mit nur wenigen Schritten bei ihr, hob sie vom Bett hoch und wandte sich mit ihr ab. Leise begann er, auf sie einzureden.
»Hab keine Angst«, sagte er. »An dem Ort, an den Hubert geht, wird er es besser haben als hier. Er wird seinen Frieden finden.«
Nein, dachte Cedric, während der Körper auf dem Bett verschwand. Das wird er nicht.
Er sah zur Tür. Bricius stand immer noch reglos dort, aber die Menschen hinter ihm und an den Fenstern redeten aufgeregt miteinander. Cedric verstand nicht viel, nur dass fast jeder jemanden kannte, der ebenso apathisch war wie Hubert vor seinem Tod.
Jack setzte sich mit Margarethe auf das leere Bett. Sie weinte und redete, er hörte zu. Cedric war auf einmal froh, dass er nicht allein in die Hütte gegangen war. Als Sprecher der Gruppe hätte er die Witwe kaum allein lassen können. Doch das musste er, denn Hubert, da war er sich sicher, war erst der Anfang.
Er wollte an Bricius Vorbeigehen, doch der Laubelf trat ihm in den Weg. »Du hättest mir sagen müssen, was hier geschieht.« Seine Stimme klang ruhig, aber sein Blick war voller Ärger.
»Mir war nicht klar, wie schlimm es ist.«
Das war keine Lüge, und Bricius schien es auch nicht für eine zu halten. Trotzdem versperrte er weiterhin den Weg. »Ich will jede einzelne Hütte sehen und die Menschen darin«, sagte er. »Zeig sie mir.«
Als Cedric nickte, trat Bricius zur Seite. Die Menschen, die an den Fenstern gestanden hatten und sich nun auf dem Platz versammelten, wirkten verunsichert, hielten sich aber mit Fragen zurück. Der Anblick des Laubelfen schüchterte sie immer noch ein.
Nur Luca trat vor. Seine Augen schimmerten feucht. »Wird das Gleiche mit meiner Schwester passieren?«, fragte er.
Bricius antwortete nicht. Cedric neigte den Kopf. »Wir sehen sie uns gleich an.« Dann fügte er so laut, dass jeder auf dem Platz es hören konnte, hinzu: »Bitte geht in eure Hütten und bleibt darin, bis wir mit euch gesprochen haben. Bricius möchte sich ein Bild von der Lage hier machen.«
»Und was für eine Lage soll das sein?« Rimmzahn verschränkte die Arme vor der Brust.
Cedric setzte zu einer Antwort an, doch Bricius kam ihm zuvor. »Ihr dürft euch nicht aufgeben. Wenn ihr euren Lebenswillen verliert, schwindet nicht nur euer Geist, sondern auch euer Körper.«
Die Menschen wirkten entsetzt, manche sahen sogar an sich hinab, als erwarteten sie, sich aufzulösen.
»Kämpft dagegen an! Denkt an das, was euch geblieben ist, und nicht an das, was ihr verloren habt oder vielleicht noch verlieren werdet.« Bricius wandte sich ab.
»Was für ein Blödsinn!«, rief Rimmzahn.
Der Elf beachtete ihn nicht, sondern nickte stattdessen Luca zu. »Bring mich zu deiner Schwester.«
Der Junge lief los, seine Freunde folgten ihm. Hinter ihnen löste sich die Menge langsam auf. Die Menschen gingen zu ihren Hütten, nur Rimmzahn und Maurice blieben trotzig stehen.
Cedric blieb nur kurz bei Sandra. Ebenso wie Bricius sah er sofort, dass ihr Zustand schlecht war. Sie reagierte nicht mehr, murmelte nur im Schlaf vor sich hin. Bricius wies Luca an, bei seiner Schwester zu bleiben und mit ihr zu reden, sie irgendwie in der wirklichen Welt zu halten. Dann verließ er die Hütte.
Der Vogeljunge folgte ihm und Cedric. »Wird sie sich auch auflösen?«, fragte er, als sie
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