Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
umgestürzten Baumstamm. »Ich weiß eine!«, rief er.
Eine?, dachte Laura. Hunderte.
Die Bäume neigten sich in seine Richtung. Holz knarrte, Blätter raschelten, Zweige knackten. »Fang an!«, riefen die Bäume.
Nidi sah sich zu Laura um, als bitte er um ihre Erlaubnis. Sie nickte.
»Hört gut zu«, sagte der Schrazel, »denn eine solche Geschichte habt ihr noch nie gehört. Sie spielt nicht einmal in dieser Welt, sondern in einer anderen, in der Götter selbst gegeneinander kämpften und das Schicksal der Sterblichen ... der Weichrinden ... lenkten.«
Es wurde still im Wald, die Bäume lauschten. Laura glaubte, ihre Aufregung zu spüren.
Nidi begann zu erzählen.
15
Quarantäne
S ie waren zu viert.
Veda, die Amazone, die Zentaurin Josce, Bricius, der Laubelf, und Deochar, ein in Innistìr geborener Mensch, dessen weißes Haar einen starken Kontrast zu seiner dunkelbraunen Haut bot. Mit ernsten, entschlossenen Gesichtern gingen sie den Weg hinunter, auf die Hütten der Menschen zu.
»Verdammt«, sagte Cedric.
»Was ist los?«, fragte Felix. Er und Luca hockten neben Sandras Bett auf dem kleinen Platz vor ihrer Hütte. Cedric hatte ihnen geholfen, das Bett mit dem schlafenden Mädchen ins Freie zu tragen. Sie hofften, dass die frische Luft, die Geräusche der Siedlung und die Abendsonne Sandra wach rütteln würden. Noch war das jedoch nicht geschehen.
»Die Anführer der Iolair.« Cedric stand auf und klopfte sich den Staub aus der Hose. Ihm war klar, dass das Auftauchen der gesamten Führungsspitze der Rebellen nichts Gutes bedeuten konnte, aber das verschwieg er Felix. Er würde es auch so früh genug erfahren.
Einige Menschen stießen sich an, als sie die Elfen bemerkten, machten auch andere auf sie aufmerksam. Rimmzahn erhob sich aus seinem Stuhl. Außer Maurice war ihm kein Zuhörer geblieben.
Es wunderte Cedric nicht, dass ausgerechnet die beiden immun gegen die Selbstaufgabe zu sein schienen, von der ihre Anhänger befallen waren. Rimmzahn ging in dem Hass und der Negativität, die er predigte, auf, fast so, als würde jede Hoffnung, die er vernichtete, ihm neue Kraft geben. Und Maurice leckte auf, was sein Idol ihm übrig ließ.
Cedric blieb vor den Iolair stehen. »Ist eure Besprechung schon vorbei?«
»Ja«, sagte Veda. »Wir haben unsere Entscheidung getroffen.«
Neben ihr tänzelte Josce nervös wie ein Pferd. Sie war eine Frau der Tat, nicht geschaffen für geschlossene Räume oder lange Unterredungen.
»Und wie sieht die aus?«
»Wie du sicherlich schon erwartet hast.« Veda warf einen Blick über seine Schulter zu dem Bett des Mädchens. »Wir können nicht riskieren, die Kranken hierzubehalten. Es ist einfach zu gefährlich, und das weißt du auch, Cedric.«
Sowenig ihm gefiel, was sie sagte, so sehr mochte er es, wenn sie seinen Namen aussprach.
»Angst ist nie ein guter Ratgeber«, sagte er. »Und ihr lasst die Angst vor etwas, das wahrscheinlich nie eintreten wird, euer Handeln bestimmen.«
»Das ist nicht wahr.« Bricius trat vor. »Wir wissen zwar nicht, ob die Krankheit ansteckend ist, so, wie wir befürchten, aber wir wissen sehr genau, dass der Seelenfänger von den Seelen der Toten angelockt wird. Ein Mensch ist bereits gestorben. Mit jedem weiteren steigt die Gefahr, und zwar für alle in diesem Krater. Dagegen müssen wir etwas unternehmen.«
»Und was?«
Cedric zuckte zusammen. Er hatte nicht bemerkt, dass Felix hinter ihm aufgetaucht war. Die Elfen hatten ihn natürlich gesehen. Dass er der Vater des kranken Mädchens war, hielt zumindest Veda nicht davon ab, ebenso klare Worte zu finden wie zuvor.
»Wir werden die Kranken in einen Wagen legen und sie mit den stärksten Flugtieren, die wir haben, an einen Ort weit weg bringen.«
»Nein!« Felix schüttelte den Kopf. »Meine Tochter bleibt hier!«
Andere kamen nun hinzu, angelockt von seinen lauten Worten und der Anwesenheit der Iolair. Es überraschte Cedric, dass Rimmzahn nicht unter ihnen war.
»Die Kranken sollen den Krater verlassen«, sagte Felix, bevor jemand fragen konnte. Aufgebracht fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. »Sie werden verbannt, als wäre es ihre Schuld, dass sie krank geworden sind. Das lasse ich nicht zu.«
Einige nickten und murmelten zustimmend. Micah drängte sich an ihnen vorbei und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Und wer soll sich da draußen um sie kümmern?«
Deochar neigte den Kopf. »Wir können niemanden für diese Aufgabe abstellen, aber jeder von
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