Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
Kehle berührte.
Der Krieger hinter ihm war wie aus dem Nichts aufgetaucht. Die Hand, in der er den Dolch hielt, war völlig ruhig. Mit der anderen nahm er Micah den Knüppel ab und warf ihn weg. Dann sah er Veda an. Die Frage in seinem Blick war nicht misszuverstehen: Soll ich ihn töten?
Zu Cedrics Erleichterung schüttelte Veda den Kopf. Der Krieger nahm den Dolch herunter und trat Micah in den Rücken, schleuderte ihn zu Boden.
»Bleib unten«, sagte er.
Im nächsten Moment machte er einen Satz nach hinten. Felix’ Knüppel verfehlte seinen Kopf nur um eine Handbreit.
»Halt!«, sagte Veda scharf, als der Krieger mit seinem Dolch ausholte. »Warte!«
Der Mann nickte und blieb stehen.
Die Amazone wandte sich an Cedric. »Sorge dafür, dass kein Blut fließt.«
Wie soll ich das denn machen? Trotzdem trat er einige Schritte vor. Es wurde still auf dem Platz. Sogar die Krieger waren vor den Hütten stehen geblieben und sahen zu.
»Es ist mir egal, was du sagst«, knurrte Felix. »Ich werde ihnen meine Tochter nicht geben.«
»Dann wirst du sterben.«
Ein Raunen ging durch die Menge. Cedric hoffte inständig, dass Rimmzahn sich nicht einmischen würde. Er sah Luca an, dessen Blick zwischen seiner Schwester, seinem Vater und dem Krieger hin und her zuckte.
»Und was wird dann aus Luca?«
Felix atmete stoßweise. Er wischte den Schweiß auf seiner Stirn mit dem Hemdsärmel weg, doch den Knüppel ließ er nicht sinken. »Willst du, dass ich zwischen meiner Tochter und meinem Sohn wähle?« Mit einer zitternden Hand zeigte er auf die Iolair. »Seid ihr so grausam, dass ihr einen Vater dazu zwingen wollt?«
Keiner der Iolair antwortete. Cedric drehte sich nicht zu ihnen um, aber er wusste, dass die Worte sie trafen. Wahrscheinlich hatte jeder von ihnen in diesem Krieg jemanden verloren.
»Sie sind nicht grausam«, sagte er ruhig. »Sie wollen nur ihre Familien schützen, so wie du auch. Aber sie haben etwas erkannt, was du dir nicht eingestehen willst.« Er verachtete sich für das, was er als Nächstes sagen würde. »Sandra stirbt.«
Der Schmerz in Felix’ Gesicht war so real, so tief, als habe man eine Klinge in seine Brust gestoßen. Trotzdem machte Cedric weiter. »Du hast deine Frau verloren, und du wirst deine Tochter verlieren. Und wenn du den Knüppel nicht loslässt und beiseitetrittst, wird Luca auch noch seinen Vater verlieren.«
»Papa!«
Im ersten Moment hielt Cedric Lucas Schrei für eine Reaktion auf das, was er gesagt hatte, doch dann sah er, dass der Junge sich über seine Schwester beugte.
»Sie wird durchsichtig!« Panik ließ seine Stimme zittern. Er sprang auf. »Kann ihr denn niemand helfen?«
»Das warst du.« Felix holte mit dem Knüppel aus, wollte sich auf Cedric stürzen, doch der Krieger neben ihm brachte den Mann mit einem Tritt zu Fall. Sein Knie landete in dessen Rücken, der Knüppel irgendwo im Dreck.
Felix versuchte hochzukommen, aber das Gewicht des Kriegers drückte ihn nach unten. Er hob den Kopf. Sand klebte an seiner schweißnassen Haut.
»Das warst du mit deinem verdammten Gerede. Du bist schuld!«
Vielleicht hat er recht, dachte Cedric. Er sah an ihm vorbei zu Sandra, die vor seinen Augen langsam an Substanz verlor. Es ging nicht so schnell wie bei Hubert, vielleicht weil sie jünger und ihr Geist noch stärker war.
Sein Blick kehrte zu Felix zurück, der sich unter dem Knie des Kriegers wand.
»Willst du dich von ihr verabschieden?«, fragte er ruhig.
Felix’ Widerstand erlahmte. Still lag er im Sand. Dann nickte er. Der Krieger hob den Kopf, bekam wohl ein Signal von Veda, denn er stand auf und trat einen Schritt zurück.
Langsam und schwerfällig wie ein alter Mann erhob sich Felix und trat ans Bett seiner Tochter.
Wenn sie stirbt, ist er der Nächste, dachte Cedric. Er wollte zu ihm gehen, doch dann sah er eine Bewegung aus den Augenwinkeln und drehte den Kopf. Simon hatte sich aus der Menge gelöst und ging nun zu Sandra, kniete neben ihr nieder. Eine Hand legte er auf ihren Bauch, die andere auf ihre Stirn. Dann schloss er die Augen.
Was soll das denn jetzt?, fragte sich Cedric. Im gleichen Moment spürte er ein Kribbeln auf der Haut. Die Haare auf seinen Armen stellten sich auf, die Luft schmeckte plötzlich süß.
»Hilf mir«, sagte Simon, der Elf.
Und Cedric half.
Sie knieten gemeinsam neben dem Mädchen. Simons Hände lagen auf Sandra, Cedrics schwebten über ihr. Energien knisterten, flossen in Sandras Geist und stärkten ihn.
Cedric
Weitere Kostenlose Bücher