Schattenlord 6 - Der gläserne Turm
mehr gehört, und alles, was du tust, macht es nur noch schlimmer. Erkläre mir bitte, wie du das Problem, das du selbst geschaffen hast, lösen willst.«
Zum ersten Mal seit Betreten des Waldes hatte Finn den Eindruck, dass Groddaruk nicht wusste, was er sagen sollte. Die große Tanne schwieg.
»Dachte ich mir doch.« Bekkas Äste richteten sich auf. Sie sah aus wie ein Baum, der nach langer Trockenheit endlich Wasser bekam.
»Laura«, fuhr die Pappel fort, »hat sich nachts zwischen uns verlaufen. Uns ist das erst später aufgefallen, weil wir mit uns selbst beschäftigt waren.«
»Und wo ist sie jetzt?«, fragte Finn, ohne den Blick von Groddaruk und Milt zu nehmen.
»Sie ist tiefer in den Wald hineingegangen.«
»Warum?«
»Das wissen wir nicht, und da die Bäume dort keine Sympathien für Groddaruk hegen, werden sie es uns auch nicht sagen.« Sie schien Finns Frage zu erahnen, denn ihre Zweige schüttelten sich. »Die Erklärung ist lang und für euch uninteressant. Wichtig ist nur, dass ihr euch keine Sorgen um Laura machen müsst. Es geht ihr gut.«
Finn war sich nicht sicher, weshalb er ihr glaubte, aber er tat es.
Milt hob den Kopf und sah hinauf zur Baumkrone der Tanne. Er schien den gleichen Eindruck zu haben, denn er fragte: »Wieso hast du uns das nicht gesagt?«
Bekka antwortete an Groddaruks Stelle. »Weil er dann zugeben müsste, dass nicht der ganze Wald in Ehrfurcht erstarrt, wenn er etwas befiehlt. Lieber setzt er die wenigen Geschichten, die uns noch von euch bleiben, aufs Spiel.«
Meint sie damit unseren Tod oder unsere Freilassung?, fragte sich Finn. »Und was schlägst du vor?«
»Dass wir ...«
»Milt!«
Laura erschien so unverhofft auf dem Weg, dass Finn nicht wusste, wo sie hergekommen war. Sie war schmutzig, schien aber unverletzt zu sein. Aus weit aufgerissenen Augen sah sie zu Milt hinauf. Dann fiel ihr Blick auf Finn, und Verwirrung huschte kurz über ihr Gesicht.
»Was ist denn hier los?«
Bekkas Zweige raschelten, aber Groddaruk kam ihrer Antwort zuvor. »Deine Freunde haben meinem Wort misstraut, nach den Erfahrungen des gestrigen Tages durchaus verständlich.« Er schien sich wieder gefangen zu haben. Arroganz und Überheblichkeit waren in seine Stimme zurückgekehrt. »Deshalb werde ich darüber hinwegsehen.«
Vorsichtig setzte er Milt ab, der über einige Wurzeln sprang, zu Laura lief und sie umarmte. Finn scharrte den Waldboden frei und erstickte die brennenden Hölzchen darin. »Keine Sorge«, flüsterte er der kleinen Tanne zu, bevor er aufstand. »Ich hätte dich nicht angezündet.«
Ihr Wimmern verstummte.
»Du hast Glück gehabt«, sagte Bekka. Finn war nicht ganz klar, wen sie damit meinte.
Laura begrüßte Nidi und ihn, dann sah sie alle drei an. »Wollt ihr mir jetzt erzählen, was hier passiert ist?«
»Dazu habt ihr später noch Zeit.« Groddaruks mächtige Äste schlugen laut gegeneinander. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er sich wahrscheinlich die Hände gerieben. »Jetzt möchte ich eine Geschichte über den Weltenbaum hören.«
»Nicht schon wieder«, sagte Bekka. Als einziger Baum wagte sie es, ihm zu widersprechen. »Nidi hat bestimmt noch viele andere Geschichten.«
»Die habe ich.« Den Wasserschlauch hinter sich herziehend, kletterte der Schrazel auf seine Bühne. Obwohl er vor Heiserkeit kaum noch sprechen konnte, hatte er seinen Enthusiasmus nicht verloren. »Und mir fällt bestimmt eine ein, die euch allen gefällt.«
Er rollte seinen Greifschwanz ein und begann.
Die drei Menschen setzten sich hinter ihm auf die Decke.
»Wo warst du?«, fragte Milt.
Laura schüttelte den Kopf. »Erzähle ich euch später«, sagte sie leise. »Wenn wir hier raus sind.«
Sie schilderte ihre Idee. Nach einem Moment grinste Finn. Es war die gleiche, die er auch gehabt hatte, nur besser.
Laura wartete, bis Nidi sich verbeugt hatte und der Applaus der Bäume nachließ. Dann stand sie auf und sagte laut: »Unser Freund muss eine Pause machen und seine Stimme schonen. Ein anderer von uns wird für ihn einspringen.«
»Kennt er auch Geschichten über den Weltenbaum?«, fragte Groddaruk.
»Nein.«
»Den Göttern sei Dank«, sagte Bekka. Einige Bäume lachten. Die Geschichte hatte entlang des Weges für gute Laune gesorgt. Laura wusste, dass das nicht überall im Wald so war.
»Aber er ist ein guter Erzähler, der euch in seinen Bann ziehen wird.«
Sie nickte Milt zu, der aufstand und mit den Händen über seine Oberschenkel rieb. »Warum kann Finn
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