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Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Schattenlord 6 - Der gläserne Turm

Titel: Schattenlord 6 - Der gläserne Turm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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ihn, bis sie beide weinten.

    Sein Körper erreichte die Kraterwand. Es gab Barrieren dort, Fallen, die nach seinem Geist zu greifen versuchten, doch nur den Körper fanden. Andreas lachte über die Dummheit der Iolair. Hatten sie wirklich geglaubt, ihn damit aufhalten zu können? Sie kannten ihn nicht, ahnten nicht, wozu er fähig war, er, der seine eigene Mutter getötet und seinen Vater beinahe erstochen hatte.
    »Ich bin Shiva«, flüsterte er, »Zerstörer der Welten.«
    »Was?« Sein Vater nahm kurz den Blick von der Straße und sah ihn an. Andreas saß auf dem Beifahrersitz. Zwei Tage zuvor war er zwölf geworden, und zum ersten Mal durfte er vorne mitfahren.
    »Nichts«, sagte er. Vier Jahre Psychotherapie hatten aus Andreas einen guten Lügner gemacht. Er erzählte niemandem mehr von den Geistern, behauptete, sie kämen nicht mehr, und hatte seine Winterjacke sogar vor den Augen seines Vaters in einen Müllcontainer geworfen. Doktor Kaufmann hatte ihn dafür gelobt und die Dosierung seiner Medikamente reduziert. Es gefiel Andreas, wie er sich seitdem fühlte. Er war wacher, klüger und schneller als zuvor. Die Welt war zu einem anderen Ort geworden. Andreas sah all die kleinen Rädchen, die ineinandergriffen und sie drehten. Er verstand alles, aber niemand verstand ihn.
    Sie waren auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen, um Andreas’ Geburtstagsgeschenk einzulösen: einen Besuch des Flughafens am Tag der offenen Tür. Es war ein warmer Frühlingstag. Sein Vater hatte die Seitenscheibe halb geöffnet und das Radio eingeschaltet. Er unterhielt sich nicht gern mit seinem Sohn, das wusste Andreas, und auf diese Weise konnte er einem Gespräch entgehen.
    Schweigend fuhren sie weiter. Die Autobahn hatten sie bereits hinter sich gelassen, und nun reihten sie sich in die lange Schlange der Besucher ein, die vom Wachpersonal auf die Parkhäuser verteilt wurden.
    Andreas rollte auf seiner Seite das Fenster herunter und drehte den Kopf, um in den Himmel blicken zu können. Er roch Kerosin, hörte das Heulen der Düsen und sah Flugzeuge wie riesige Hornissen über sich kreisen. Die meisten erkannte er selbst von unten.
    »Airbus A380.«
    »Boeing 747-400.«
    »Avro RJ100.«
    »Hör auf damit!«, sagte sein Vater scharf. »Oder soll jeder merken, dass du verrückt bist?«
    Er war schlecht gelaunt. Es war schon fast Mittag, und er hatte noch keinen Tropfen getrunken. Seit er arbeitslos geworden war, öffnete er kurz nach dem Frühstück die erste Flasche Korn. Seine Wangen waren voller aufgeplatzter Adern, seine Nase war dicker und knolliger als früher.
    Andreas beachtete ihn nicht. Immer weiter schob er sich aus dem Fenster, um die Flugzeuge beobachten zu können. Der Sicherheitsgurt kniff in seine Schulter und seine Seite, aber er war ein Flugzeug und spürte es kaum.
    Sein Vater packte ihn am Kragen und zog ihn mit einem Ruck zurück auf den Sitz. »Wenn du dich nicht gleich benimmst, fahren wir wieder nach Hause, hast du das verstanden?«
    Andreas verschränkte die Arme vor der Brust.
    Hinter ihm hupte jemand. Die Schlange war einige Meter weitergerollt, und sein Vater hatte den Anschluss verpasst. Er fuhr vor.
    »Mein Gott, ist das voll hier«, sagte er. »Das kann ja Stunden dauern.«
    Andreas beachtete ihn nicht. Stumm benannte er die Flugzeuge, die er durch die Frontscheibe sah. Er wollte mit denen tauschen, die starteten, und bedauerte die, die im Landeanflug waren. Er würde niemals landen, egal, was sein Pilot verlangte. Es gab Techniken, um Flugzeuge in der Luft zu betanken, er hatte darüber gelesen. Einfach nur fliegen. Bis zum Ende der Welt und darüber hinaus.
    Vor ihnen schaltete die Anzeigetafel des Parkhauses von 10 freie Plätze auf Besetzt . Wächter winkten die Fahrzeuge weiter.
    »Verflixt!« Sein Vater schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad. »Ich werde hier noch verrückt.«
    Mit der Zunge fuhr er sich über die Lippen, so als hätte er Durst. Dann sah er in den Rückspiegel. »Wir fahren zurück«, sagte er. »Tut mir leid, aber hier kommen wir nicht weiter. Wir kommen wieder, wenn weniger Betrieb ist.«
    »Aber dann gibt es keine Towerbesichtigung, und wir können auch nicht aufs Rollfeld.«
    »Sieh dich doch mal um!« Sein Vater schrie ihn so laut an, dass der Wachmann vor dem Parkhaus einen Schritt zurücktrat und in ihr Auto blickte.
    »Bis wir einen Parkplatz haben, ist der Tag der offenen Tür längst vorbei«, fuhr er leiser fort. »Ich drehe dahinten.«
    Andreas dachte nicht nach.

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