Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
die Seite und mault den Bankberater an, ob er ihn verarschen wollte, er würde sich über ihn beschweren. Er wedelt mit dem Kontoauszug in der Luft herum, aber er zeigt ihn nicht. Niemand zeigt den Angestellten den Auszug, weil niemand davon ausgeht, dass da was gefaked wurde. Sie denken alle, sie wurden auf den Arm genommen.«
Jerome rieb sich am Kinn und dachte an etwas in der Vergangenheit Liegendes.
»Einmal jedoch kam es zu einer netten kleinen Verwicklung in der Commerzbank. Der Kunde hielt dem Sachbearbeiter den Auszug vor die Nase und die Liste am PC von dem jeweiligen Konto war noch offen. Da kam ich ins Schwitzen. Dasselbe Konto mit zwei unterschiedlichen Salden. In einem Moment, als der Sachbearbeiter es seinem Chef zeigen wollte, hab ich die Zahlen korrigiert. Der Chef sah auf den Monitor, dann in das Gesicht des Mitarbeiters, entschuldigte sich bei dem verärgerten Bankkunden und zitierte seinen Mitarbeiter ins Büro, der seit diesem Zeitpunkt nicht mehr hinterm Schalter gesehen wurde.«
»Das ist der Wahnsinn, Jerome. Und verdammt, es ist illegal.«
»Ich glaube nicht, dass es illegal ist. Okay, die ganze Hackerei ist nicht ganz koscher, aber das, was ich im Moment hier tue, ist reine Illusion. Auf dem Konto von Ralf ist noch genauso wenig drauf wie vorher. Ich nehme nichts weg und ich füge nichts hinzu. Nicht wirklich jedenfalls. Ich verbinde lediglich ein Bild mit einem anderen Kontostand mit seinem, wie als wenn man ein Foto vor eine Kamera hält und dich glauben lässt, dass du das siehst, was das Foto darstellt. Ich erschaffe nur eine perfekte Illusion. Aber mal abgesehen davon, ist es sowieso nur ein Trugbild. Es sind nur Zahlen auf einem Bildschirm. Realität wird es erst dann, wenn du das Geld tatsächlich in deiner Hand hast. Oder besser noch in Form von Gold und nicht Papier, auf dem nur Zahlen aufgedruckt sind. Papiergeld an sich ist völlig wertlos. Wir messen ihm nur dadurch einen Wert bei, weil wir es so definiert haben, dass ein Papierschein mit einer 100 darauf eben 100 Euro wert ist.«
Martin wurde ungeduldig, zwirbelte seinen Bart.
»Okay, so weit, so gut. Warum zeigst du mir das alles?«
»Entspann dich. Es läuft alles auf das eine Ziel hinaus. Was ich hier tue, tun die anderen auch, nur noch viel eleganter und perfekter. Sie täuschen und simulieren. Sie definieren Armut und Wohlstand neu. Sie bringen alles in Relation zueinander. Was ist viel und was ist wenig? Ab wann steckt ein Land in einer Krise, ab wann sind die Schulden, die es hat, hoch und ab wann sind sie gering? Alles ist relativ, oder? Sie machen es mit großen Hochleistungsrechnern. Meine Rechner sind klein, deren sind zehnmal schneller. Und damit können sie den ganzen Unfug anstellen, den du hier gesehen hast. Sogar echte Gelder hin und herschieben, zum Beispiel an der Börse. Andere glauben machen, sie hätten ein Problem, bei dem sie helfen müssten. Okay, ich fasse es mal für dich in einem Satz zusammen: totale Überwachung, totale Transparenz, uneingeschränkte Macht durch uneingeschränktes Wissen.«
»George Orwell. Das hatten wir doch schon alles.«
»Ja, ihr glaubt, es würde nie so weit kommen, aber Orwell war ein Visionär. Wir haben all die Dinge schon längst und sie laufen vor euren Augen ab und niemand realisiert, wie tief er schon in der Scheiße steckt. Jeder gibt heute sogar selbst über Facebook und Konsorten all seine Daten bekannt, offenbart sein ganzes Leben darin. Jeder Dritte schützt sein Handy vor Diebstahl, indem er die Standortbestimmung oder sogar die Fernsteuerung zulässt. Mal ehrlich, als wenn jemand bei Apple oder Mikrosoft ernsthaft daran interessiert wäre, dass du dein geklautes Spielzeug zurückbekommst. Ich lach mich tot. Ein schickes neues sollst du dir schließlich kaufen, alles andere wäre ja geschäftsschädigend. In Wirklichkeit geht es darum, deinen Standort zu kennen; kombiniert mit Hunderten kleinerer und größerer Dienste wie Google, findet man dich überall auf der Welt binnen Sekunden. So kann man ziemlich gut vorhersagen, wie du in welchen Situationen reagierst, wie du tickst.«
»Meinst du nicht, dass du ein wenig übertreibst? Nicht alle Menschen sind Terroristen. Nicht jeder überzieht sein Konto. Nicht jeder ist ein Gauner und Betrüger.«
»Vielleicht noch nicht, aber es wird immer schlimmer, darin sind wir uns einig, oder? Die Regierungen planen, Verbrechen frühzeitig zu erkennen, sie zu verhindern, bevor sie passiert sind. Verbrecher zu
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