Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Rache. Er denkt sich, wenn er die Kohle nicht bekommt, wird er sie sich so oder so beschaffen. Er wird sie irgendjemandem klauen, einen kleinen Bruch machen oder einfach nur ’ner Oma auf dem Bürgersteig die Handtasche wegreißen. Und schau dir seinen Mund an. Er ist sauer. Er presst die Lippen aufeinander. Er denkt an etwas Ungerechtes, was ihm widerfahren ist. Ein immer wiederkehrender Groll steigt in ihm auf. Seine Emotionen verraten ihn. Er kann es nicht verbergen. Niemand kann das. Er ist verbittert, wenn ich mich nicht irre.«
Martin schüttelte den Kopf. »Du spinnst.«
»Warte ab. So viel schon mal: Es ist Zweiteres. Also fangen wir an. Zuerst ein Programm für zweidimensionale biometrische Gesichtserkennung.«
»Deins?«
»Yap. Den Großteil des Algorithmus haben wir selbst geschrieben. Also, ich. Genauer gesagt, hab ich bestehende Fragmente aus dem Netz verbessert. Okay, zugegeben, nicht ganz neu und nicht von mir allein entwickelt, aber deutlich verbessert. Der Trick ist dann die Vergleichsdatenbank dahinter. Ohne bestehende Muster kann man mit einem neuen nichts anfangen und darin liegt meine eigentliche Stärke. Ich habe Zugriff auf Daten .« Er betonte das Wort besonders und begleitete es mit einer bedeutsamen Gestik. Zurück zum Bildschirm gewendet, legte Jerome über das Gesicht des Mannes ein feines Raster und teilte das entstehende Bild in Proportionen ein. Die Sonnenbrille wurde am Ansatz wegretuschiert, so dass man die Augen genauer sehen konnte. Jedes Detail wurde erfasst: Nase, Mund, Kinn, Hals, Ohren, feine Grübchen und sogar winzige Fältchen unter den Augen.
»So, jetzt pass auf.« Jerome öffnete ein weiteres Programm, hob seinen Zeigefinger in die Luft und ließ ihn wie aus großer Höhe taumelnd auf die Enter-Taste herabsausen. Das Gesicht des Mannes verschwand, löste sich auf und fand sich in verschiedenen Einzelfenstern auf den Monitoren wieder.
»Schwupps. Da haben wir ihn schon.« Jerome rückte dichter heran. »War ja klar. Hat ein Profil bei Facebook und bei Google+. Füttert aber nur die Facebook Seite. Ralf Wiesnowky. Scheiß Name. Wow, zweitausendsechshundert Freunde, das ist extrem viel für einen Normalo. Ist einsam und geltungssüchtig, der Typ. Stammt aus Hamburg, Realschule beendet, fährt Motorrad, liebt Italien und sucht ’ne Perle. Möchtest du seine Fotos sehen?«
Martin lehnte sich zu Jerome vor und betrachtete die Urlaubsfotos mit typisch toskanischen Motiven, die Fotografie einer Suzuki, ein Bild von ihm vor geschätzten zehn Jahren vor dem Hamburger Michel.
Jerome suchte in den Einträgen des sozialen Netzwerkes herum, nicht besonders beeindruckt von der Intimität der Unterhaltungsprotokolle.
»Hier gräbt er grade ’ne Maus an. Will sich mit ihr treffen, sie zum Essen einladen. Ich lach mich weg. Der Typ ist ein Blender. Hat keine Kohle und lädt sie zum Franzosen ein. Der Eintrag war vorgestern. Sie hat zugesagt, daher sein Gang zu der Haspa. Er ist blank wie eine Kirchenmaus. Und da haben wir schon den Eintrag, den ich gesucht hab. Sein Chef hat ihn rausgeschmissen. Er war bei einer Spedition beschäftigt und hat falsche Abrechnungen vorgelegt. Zumindest verteidigt er sich hier bei Facebook, dass er es nicht getan hat, so dass wir davon ausgehen können, dass es genau so war. Er beschimpft seinen alten Boss.«
»Das ist noch nichts Besonderes, jemanden bei Facebook ausfindig zu machen.«
»Ich hab nur darauf gewartet, dass du das sagst. Stimmt, bis hierhin war alles nur Kinderkram. Jetzt erst wird es richtig Klasse. Allerdings musst du als Bulle ein Auge zudrücken, denn jetzt nutzen wir die Rechner eures Clubs, den der CIA, des BKA, des Arbeitsamtes und schließlich schauen wir uns seine Konten an. Und bevor der Bankbeamte zweimal Luft geholt hat, um unserem armen Würstchen einen Korb zu geben, wird er eine Überraschung erleben. Ich schätze, ich habe noch genau zwei Minuten, bis unser Ralfi in der Schlange an der Reihe ist.«
Es öffnete sich ein Fenster mit einer Kamera, die ins Bankinnere zeigte, und tatsächlich entdeckte Martin den nicht mehr ganz so fremden Mann namens Ralf an dritter Stelle hinter einer brünetten Dame in High-Heels und Minirock.
»Die Frau hat im Gegensatz zu unserem Opfer wirklich einen Haufen Kohle. Okay, gib mir zwei Minuten in Ruhe. Ich muss mich konzentrieren.«
Jerome legte die Hände ineinander, drehte die Finger um und ließ die Gelenke knacken. Danach legte er sie auf die Tastatur und begann wie im Rausch,
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