Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
W-Lan- Empfang aus. Nun konnte er sicher sein, keine ungewollten Mitleser zu riskieren. Er nahm den Deckel des Lippenstiftes ab und drehte an dem Gehäuse, bis ein USB-Stick erschien. Eine neue Variante, Daten zu verstecken. Unverzüglich steckte er ihn in einen Slot am Gehäuse des Laptops. Wie erwartet, erschien einen Moment später ein Fenster, das ihn zur Eingabe eines Passwortes aufforderte. Er gab ›Mira‹ ein und eine Liste mit Dateien rollte herab. Sieben übergeordnete Ordner, als Kürzel gelistet, waren zu sehen. Martin öffnete den obersten Ordner und verschiedene Artikel zogen ihn tiefer in Geheimnisse hinein, die nicht für ihn bestimmt gewesen waren, sondern für jemanden, der ihretwegen den Tod gefunden hatte.
Die meisten Artikel waren in englischer Sprache verfasst, die Martin nicht gerade mühelos, aber sinngemäß entziffern konnte. Zweifellos ging es zum einen um medizinische Ergebnisse, wie die Implantation eines Intrakutanchips vom menschlichen Körper toleriert werden würde, zum anderen ging es um physikalische Tests. Ein Teil beschäftigte sich mit der Frage, wie groß ein Speicher bemessen sein musste, um ausreichend relevante Bio-Daten speichern zu können. Inhalt anderer Studien zielten auf die Energieversorgung mikroelektronischer und mikromechanischer Komponenten ab und wie man einen solchen Chip über ein ganzes Menschenleben lang mit Leistung versorgen konnte. Wie effektiv war die Ortung eines solchen Chips? Welche Rolle spielten verschiedene Parameter wie Wettereinflüsse und Jahreszeiten, Erddrehung und Satellitenbahnen? Das Ziel war eindeutig: den Chip unter allen nur denkbaren Bedingungen jederzeit orten zu können.
Sogar moralisch- technische Fragen wurden behandelt. Zum Beispiel, ob der Speicher nach dem Ableben des Trägers weiterhin auslesbar sein sollte oder ob ein entsprechendes Signal die Daten vernichten müsse.
Martin versuchte, sich in das Fachchinesisch der meisten Artikel einzulesen, und nach einer Weile begann er sich zu wundern. Seiner Interpretation der Daten nach ging es ab einem gewissen Punkt nicht mehr nur allein darum, diese Chips zu orten und damit den Träger überall ausfindig zu machen, sondern es war immer häufiger die Rede von einer sogenannten ›zentralen Aktivierung‹. Was oder wer aktiviert werden sollte, erschloss sich Martin jedoch noch nicht. Er begriff, dass diese Chips dem Träger nicht nur zum Segen gereichen würden. Jederzeitige Ortung konnte als Schutz zu verstehen sein, Schutz vor Entführungen. Demente Menschen, die sich verirrten und wieder zurück ins Heim oder in ein Krankenhaus geführt werden konnten. Schutz vor Verirrungen innerhalb einer Expedition im tiefsten Dschungel oder im ewigen Eis unwegsamer Gletscher. Zügige Ortung von Lawinenopfern, bevor sie erstickten. Sicher würde man den Bürgern der Welt diese Vorteile anpreisen wie Freibier, doch was war mit der zentralen Aktivierung gemeint? Vor allem: was geschah mit dem Träger nach dieser Aktivierung?
Martin schloss die Dateien und sicherte sie auf einem weiteren USB-Stick und neben ein paar Fotos auf einer unauffälligen SD-Karte, die zudem flach genug war, um sie dezent zwischen Gegenständen wie Büchern oder Ähnlichem verstecken zu können. Infiziert von dem Gedanken, einer großen, unheimlichen Sache auf der Spur zu sein, schloss er das Netzwerkkabel wieder an und öffnete den Browser. Er gab den Namen ›Sergej Sokolow‹ in die Suchleiste ein und sichtete die Einträge.
Es brauchte weitere zwei Stunden, bis er eine Vorstellung von dem Mann bekam, der als führender Wissenschaftler für verschiedene Regierungen gearbeitet hatte. Als gebürtiger Russe mit vierzig in die Tschechei umgesiedelt, sprach er fließend sechs Sprachen, darunter auch deutsch. Er war Anwärter auf die Nobelpreise für Physik und Medizin sowie Preisträger namhafter Auszeichnungen. Schließlich fand Martin einen Artikel im Hamburger Abendblatt über das Ableben des bekannten Mannes. ›Herzversagen‹ hieß die offizielle Aussage, doch Eingeweihte wussten, dass jede Todesursache willkommen war, solange man davon ausgehen konnte, dass Sokolow aus dem Verkehr gezogen worden war.
Renate Lohmeyer sprach davon, dass er zu Sokolow reisen müsste. Martin runzelte die Stirn; einen Toten konnte man nicht vernehmen. Wenn also Sokolow noch leben würde, hätte er ihm bestimmt eine Menge zu erzählen, es sei denn, er würde nicht auffindbar sein wollen, aus Angst vor seinen Verfolgern. Wie aber könnte
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