Schattenmächte: Kriminalroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
dahinterkamen. Jerome trägt einen Chip aus einer Baureihe, die sehr schwache Signale aussendet. Er ist zwar schon auf Exitus programmiert, aber er stammt aus einer Reihe von Prototypen mit viel zu schwachen Signalen. Da man Jerome offiziell schon lange für tot hielt, war der Chip uninteressant geworden. Doch falls man jemals stärkere Empfänger baut, ist es auch wieder möglich, ihn aufzuspüren. Und dann wäre es eine Sache von Sekunden und sein Herz würde aufhören zu schlagen. Es kann quasi jeden Moment so weit sein.«
Martin sah zu Jerome, der bei diesen Worten zu zittern begann. Auch Sokolow bemerkte die Veränderung in Jerome. »Es gibt nur hundert oder vielleicht zweihundert noch lebende Träger der alten Chipgeneration und einer von ihnen ist er.«
Martin unterbrach die Ausführungen Sokolows.
»Moment mal. Was heißt das, noch lebende Chipträger? Was ist mit den anderen passiert? Ich dachte, Sie haben mit Affen gearbeitet?«
»Tja, am Anfang. Erst haben wir es an Ratten, Hunden, Affen und später an Pferden getestet, doch um die exakte letale Programmierung herauszufinden, musste man am Menschen experimentieren. Hier im Ostblock gibt es Tausende von Obdachlosen, die eh schon halb tot sind, Kriminelle, Mörder. Hier gilt ein Menschenleben nicht viel. Also hat man so lange experimentiert, bis man die optimale Frequenz herausgefunden hatte.«
Martin ging im Raum umher und dachte nach. Unfassbares wurde ihm offenbart, doch auch Unverständliches. »Das heißt, jeder der sieben Milliarden Erdenbürger hätte dann eine eigene Nummer. Wie kann man da jeden Einzelnen überhaupt noch identifizieren?«
»Ach, das ist ganz leicht. Eigentlich nur eine Frage der Rechnerkapazität. Die Serverfarmen sind heute so leistungsfähig, dass das kein echtes Problem mehr darstellt. Nicht nur jeder Mensch bekommt in diesem Plan eine Nummer, sondern auch jeder Gegenstand. Nehmen wir ein anderes Beispiel. Früher hatte jede Charge, sagen wir mal – einer Joghurtsorte – einen Barcode. Es hatte nicht jeder Becher einen eigenen Code, sondern nur die jeweilige Serie. Auch bei Kleidung war es so. Bisherige Inventuren waren mühsam, aufwändig und teuer, weil man manuell zählen musste. Erst als jedes Kleidungsstück eine eigene Identifikationsnummer in einem RFID-Chip bekommen hatte, war die Inventur schnell und effektiv. 400 Pullover in drei Sekunden zum Beispiel. Kommt ein Kunde mit einer besonderen Jacke in ein Modegeschäft, kann die Dame hinter der Kasse mit einem speziellen Lesegerät sofort erkennen, von welcher Firma diese Jacke stammt, wann sie gekauft wurde und ob es sich lohnt, dem Kunden eine neue anzubieten. Durch diese individuelle Identifikation jedes einzelnen Teils, das Sie jemals gekauft haben, wird Ihr Konsumverhalten vollkommen gläsern.«
Martin begann zu begreifen und er war erschüttert. George Orwells Visionen waren vollkommene Wirklichkeit geworden.
»Ist Ihnen jetzt klar, womit Sie es zu tun haben? Mit einem verbrecherischen Plan internationalen Ausmaßes. Die neue Generation von Chips tötet, ohne Spuren zu hinterlassen. Man stirbt einfach nur an Herzversagen. Denken Sie bitte konsequent weiter, was dahintersteckt. Dadurch rückt der große Traum der Herrenrasse in greifbare Entfernung. Morden, ohne belangt werden zu können und dieses Instrument in den Händen weniger Machthaber. Was ist das in Ihren Augen?«
»Eine teuflische Diktatur«, bestätigte Martin.
Sokolow nickte.
»So ist es. Das nächste Bilderbergertreffen ist in zwei Wochen und das ganze Orchester wird dort aufspielen. Bladeck und Schöller sind die führenden Köpfe Europas, die vermutlich im Besitz der neuen Codes sind. Nur wer diese aktuellen Codes hat, kann mit den Chips auch tatsächlich töten. Ansonsten taugt er nur zur Überwachung und Denunziation.«
»Nur?« , frotzelte Martin. »Na schön. Zeigen Sie mir den Chip«, forderte er Sokolow auf. Sokolow überreichte Martin den Koffer mit den Utensilien, die man brauchte, um einen solchen Chip unter die Haut setzen zu können. Martin nahm den Koffer entgegen, klappte ihn auf und betrachtete die winzige Glasampulle. Der Chip war nicht größer als ein Reiskorn. Daneben, in einem speziellen Fach, lag eine Spezialspritze mit einer extra dicken Kanüle, sodass der Chip beinahe schmerzlos injiziert werden konnte. Eine Ampulle mit einer zartblauen Flüssigkeit war ebenfalls in dem Koffer so eingebracht, dass selbst, wenn der Koffer von der Spitze des Eifelturms fallen würde,
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